Kein Job fuer schwache Nerven
der Fensterrahmen. Und bis der Sauerstoff von der Zimmermitte an die Wand kommt, da kann viel passieren, da können ihm jede Menge andere Moleküle begegnen. Wir hingegen mit unserer altmodisch-brachialen Bürstmethode bringen die Chlorbleichlauge direkt auf die Wand. Dort setzt sie ebenfalls Sauerstoff frei. Der ist für die Gerüche vielleicht nicht ganz so attraktiv wie der Germany’s-Next-Topmodel-Sauerstoff aus der Ozonkiste. Aber dafür kriegen sie unseren Sauerstoff direkt vor die Nase, so dicht davor, dass sie gar nicht dran vorbeisehen können.
Ich hab’s zweimal versucht, einmal ganz am Anfang, und einmal im letzten Jahr, als mir ein Anbieter versprach, er hätte jetzt mit einer neuen Technik die Schwierigkeit behoben. Er hatte es nicht. Und so wie bei unseren Versuchen mit diesem Apparat roch auch die Wohnung der Dame, als ich sie betrat. In den meisten Zimmern unangenehm, im Wohnzimmer schwer erträglich. Was auch daran lag, dass der wunderbare Ozonapparat einem nicht die Aufgabe abnimmt, die Leichenflüssigkeit aus dem Parkett zu entfernen, wo sie einen noch immer deutlich sichtbaren dunklen Fleck hinterlassen hatten.
Aber letzten Endes war das das geringere Problem. Als wir die Wohnung betraten, fanden wir sie komplett überschwemmt vor. In der Küche befand sich ein riesiger dunkler Fleck am Fenster.
» Vielleicht hat’s reingeregnet«, vermutete die unfreiwillige neue Mieterin.
» Da hat’s nicht reingeregnet«, stellte ich fest. » So wie ich das hier sehe, kommt das Wasser aus Ihrem Abwasseranschluss in der Küche.«
» Aber das Wasser ist doch abgestellt.«
» Bei Ihnen schon, aber ich vermute, beim Nachbarn drüber nicht.«
Der Fehler lag in der Hauptabwasserleitung, nicht in der Zuleitung der Wohnung. Aus irgendeinem Grund war die Hauptabwasserleitung verstopft. Und normalerweise hätten das die Mieter der anderen Wohnungen darüber ziemlich schnell merken müssen. Aber nachdem in der Wohnung des Verstorbenen die gesamte Küchenzeile fehlte, die Abwasserleitung offen war und niemand täglich nach dem Wasser gesehen hatte, war einfach alles, was die Nachbarn von oben in ihre Spüle kippten, das gesamte Wasser von Waschmaschinen und Spülmaschinen widerstandslos hier in die Leichenwohnung geflossen. Die Wände hatten sich bereits bis auf Kniehöhe vollgesogen, und mein neuer Kollege Hotti, der sich bemühte, den Leichenfleck aus dem Parkett zu stemmen, kapitulierte: Durch das Wasser war der gesamte Holzboden aufgequollen und die Einzelteile derart ineinander verkeilt, dass man mit normalem Gerät nicht durchkam.
» Ist das irgendwie schlimm?«, fragte die Mieterin verwirrt.
» Schon«, sagte ich, » weil wir jetzt erst mal gar nichts machen können.«
Das Knifflige an der Situation war der neue Schaden. Es war nicht mehr eindeutig zu sagen, was der Todesfall angerichtet hatte und was vom Wasserschaden stammte, der den Leichengeruch mit der Flüssigkeit weiter verbreitet hatte. Und wir konnten natürlich der Mieterin nichts von dem auf die Rechnung schreiben, was das Wasser angerichtet hatte. Umgekehrt konnten wir ohne Auftrag der Wohnungsverwaltung überhaupt nichts tun. Also bekam mein Job hier wieder eine ganz neue Facette: Leichenfundortreinigungs-Diplomatie.
Ich vereinbarte rasch einen Termin mit der Wohnungsverwaltung und handelte mit der Vermieterin einen kleinen Deal aus. Unsere Kundin würde den Boden komplett übernehmen, wenn sich die Vermieterin dafür bereit erklärte, die Wände und restliche Sanierung zu finanzieren.
Letzten Endes hat unsere Erstkundin durch den Wasserschaden ein bisschen Geld gespart. Ganz legal, das ist so, als ob man bei einem Unfall den hinteren Kotflügel von einem Auto leicht geschrammt hätte. Und fünf Minuten, nachdem man sich bereit erklärt hat, ihn neu lackieren zu lassen, knallt ein Laster schwungvoll genau in denselben Kotflügel und verbeult ihn total. Natürlich kriegt der Besitzer des beschädigten Autos nun einen neuen Kotflügel, und damit ist man fein raus. Wir haben den Parkettboden komplett entfernt, die Wohnung gründlich mit Chlorbleichlauge behandelt und zwei Tage später vor der Übergabe noch mal mit Perform.
Der letzte Performgang ist neu im Programm. Wir haben nämlich festgestellt, dass die Chlorbleichlauge zwar anfangs nach Hallenbad riecht, nach zwei Tagen aber ein wenig nach ungewaschenen Füßen. Nicht schön, doch dieser Geruch ist längst nicht so hartnäckig wie der Leichengeruch selbst, er verfliegt in wenigen
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