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Kein Job fuer schwache Nerven

Kein Job fuer schwache Nerven

Titel: Kein Job fuer schwache Nerven Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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grün im Gesicht gewirkt. Der Anblick war wohl nicht schlimm, letztlich ist es, wenn man nicht gründlicher drüber nachdenkt, ein dunkler Fleck im Zimmer, in diesem Fall rund um einen Fernsehsessel, in dem der Tote gefunden worden war. Aber Petra hatte beschlossen, durch die Nase zu atmen.
    Schon erstaunlich, wie Menschen gestrickt sind.
    Durch den Mund zu atmen ist ja zunächst mal der einfachste Trick, um Gerüchen zu entgehen. Die Riechschleimhaut ist in der Nase, und wenn man die Luft nicht an ihr vorbeileitet, dann riecht man auch nichts oder doch deutlich weniger. Aber die Vorstellung, diese Luft durch den Mund einzuatmen, meinte Petra hinterher, sei ihr noch viel schlimmer vorgekommen. Also hätte sie beschlossen, flach durch die Nase zu atmen. Im Prinzip nicht vollkommen verkehrt, denn die Riechschleimhaut ist tatsächlich ganz oben in der Nase, und man kann versuchen, sozusagen ganz sachte unter ihr durchzuatmen, aber Luft verwirbelt sich eben immer ein bisschen, und wenn sie durch und durch mit Leichengeruch gesättigt ist, dann hilft flach atmen ungefähr so viel, als steckte man im Hochsommer den Kopf nur in eine kleinere Mülltonne. In jedem Fall, meinte Petra, sei es eine denkwürdige Erfahrung gewesen, wie es einem blitzartig den Magen umdrehen könne, ohne dass es einem vorher auch nur ansatzweise schlecht gewesen sei. Wie mit einem Fingerschnippen, das ganze Frühstück im körpereigenen Turbolift nach oben, aber die Blöße wollte sie sich natürlich auch nicht geben, also hat sie den Würgereiz tapfer unterdrückt und den Kopf japsend aus dem Fenster gehalten. Aber grün im Gesicht war sie trotzdem.
    Es war dann natürlich klar, dass wir die Masken aufsetzten – das ist zwar schweißtreibend und stickig, aber die Geruchsbelastung sinkt auf ein Minimum. Und Petra hat dann auch tapfer geschaufelt und gesammelt. Ich glaube, sie hat sich sogar extra in den Leichenfundraum begeben, einfach, damit es hinterher nicht hieße, sie hätte nur an den harmlosen Stellen gewischt. Als ob wir da intern einen Wettbewerb laufen gehabt hätten, wer die furchtbarsten Dinge entfernt. Das war vielleicht anfangs ein Teil des Kitzels, das gebe ich gerne zu, aber mit der Zeit spielt sich das ein, das ist wohl so ähnlich wie bei Umzugshelfern. Zuerst denkt man noch: » Her mit dem Klavier!«, und » Weicheier, den Schrank hier, den schlepp’ ich allein, damit ihr mal seht, wie das geht!«. Aber irgendwann merkt man: Nach dem Umzug kommt der nächste Umzug, und hier geht es nicht um einen Sprint, sondern hier geht es um Kondition, ums Durchhalten, darum, dass man in vier Wochen auch noch arbeiten kann, genauso wie am ersten Tag. Dass man im Team arbeitet, einander hilft. Und dabei ist es viel wichtiger, dass man sich nicht drückt, als dass man immer die dicksten Brocken beseitigt. Das klingt vielleicht nicht danach, als wäre es ein großer Unterschied, aber es ist einer, wirklich.
    Es war interessant, auch mal zuzusehen. Die kleinen Probleme zu beobachten, die einem schon gar nicht mehr auffallen. Der Tote war in seinem Fernsehsessel gestorben. Und die Leichenflüssigkeit war nach und nach unter ihm in den Sessel gesickert und in die Tagesdecke. Petra mühte sich, diese schwere, vollgesogene Decke in einen Müllsack zu bugsieren. Dabei kann man halb wahnsinnig werden, weil man trotz Schutzkleidung nicht richtig zupacken mag. Man versucht einen Zipfel Decke in den Sack zu bringen, und jedes Mal drückt die schwere, sperrige, steife Decke den leichten Müllsack durch ihr Gewicht zur Seite, man hantiert hilflos, man muss minutenlang mit dem widerlichen Ding kämpfen, das man doch allerhöchstens für Sekunden anfassen möchte – es sind wirklich oft die Details, die die Arbeit so schwer erträglich machen.
    Plötzlich hörte Petra auf. Ich sah, wie ihr Blick zum Boden ging, die Augen hinter der Maske wurden fragend größer, sie bückte sich.
    » Sag mal, Peter«, sagte sie tonlos, » das da – ist das ein Finger?«
    Ich bückte mich auch, nahm das Teil hoch und betrachtete es. Es war ein Finger, also, ein Teil des Fingers.
    » Ja«, sagte ich, » ist es.«
    Und ab diesem Moment gab es eigentlich nichts mehr, was Petra noch großartig überraschen konnte. Sie kannte die Geschichten, sie stellte fest, dass sie stimmten. Es waren Hautreste und Haarbüschel oben an der Rückenlehne des Sessels, dort, wo die Leiche nach unten weggesackt war. Es gab Maden und Madenreste. Es war nicht so, dass ich viel erklären musste,

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