Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kein Job fuer schwache Nerven

Kein Job fuer schwache Nerven

Titel: Kein Job fuer schwache Nerven Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
Vom Netzwerk:
gefragt habe, ob ich den Auftrag des KIT annehmen sollte, ob ich diesen Leichenputzdienst richtig anbieten sollte, hat sie mich noch sehr skeptisch angesehen und gesagt, das müsste ich selber wissen. Aber richtig begeistert hat sie damals nicht ausgesehen. Doch man gewöhnt sich an viel, und Petra sagt, sie hat sich in diesen fünf Jahren an eine Menge gewöhnt. Gewöhnt nicht in dem Sinne, dass man es toll findet, aber in dem Sinne, dass es einem normal vorkommt.
    Ich habe den Leichengeruch nicht in dicken Schwaden mit mir herumgezogen. Aber gelegentlich bringe ich Dinge mit heim, sagen wir: einen Flachbildfernseher. Nicht, weil ich die Leichenfundorte ausplündere, sondern weil die Erben erklären, sie möchten ihn nicht. Er riecht nämlich so übel. Ich sage ihnen natürlich, dass der Leichengeruch in einem halben oder Dreivierteljahr weg ist. Aber sie möchten ihn trotzdem nicht. Wenn das ein brandneuer Fernseher ist, dann tut’s mir einfach leid, den wegzuschmeißen, also frage ich, ob sie was dagegen haben, wenn ich ihn mitnehme. Haben sie meistens nicht. Und ich nehme dann den Fernseher und stelle ihn bei uns ein halbes Jahr in den Lagerraum mit den Reinigungsmitteln. Da riecht er ein bisschen vor sich hin, immer weniger. Aber so kam natürlich auch Petra hin und wieder mit dem Geruch in Berührung. Und weil das wirklich nur so eine ganz leichte eklige Note ist, wirft das auch den Laien nicht um. Und es kommt einem allmählich irgendwie normal vor.
    Es gab noch einen zweiten Aspekt, der Petras Berührungsängste reduziert hat. Das waren die Geschichten, die man mit heimbringt, und zwar vor allem die Geschichten, in denen sich jemand gefreut hat, dass es eine Firma wie unsere gibt. Und das ist ja wirklich so: Sicher sind viele Menschen erleichtert, dass sie unseren Job nicht machen müssen, aber ganz besonders erleichtert sind eben diejenigen, auf die diese Arbeit sonst zugekommen wäre. Diese Erleichterung fand Petra immer gut. Ich bin ja mehr der Problemlöser und Bastler, aber sie fand dieses fürsorgliche Element immer besonders berührend und hilfreich. Und es kann gut sein, dass an dem Tag, an dem ich sie einfach mitgeschleift habe, auch durch ihren Kopf geblitzt ist, dass das sonst irgendwelche armen Leute das selber machen müssen. Vielleicht hab’ ich auch irgendwas in dieser Richtung gesagt, mit meiner üblichen Neugier und dem Satz: » Komm, das wird spannend!«, hätte ich jedenfalls nichts erreicht. Was aber wichtig war: Jenny war mit dabei.
    Inzwischen sind ja meine beiden Töchter immer mal wieder mitgefahren, und Jenny sowieso, praktisch routiniert, die ist fast schon ein ausgewachsenes Feuerwehrrettungssanitäterleichenfundkind, sensationell. Und die Einzige, die bis dahin noch nie mitgearbeitet hatte, war eben Petra gewesen. Der Mann putzt, die Tochter putzt, dann putzt die andere Tochter auch noch, klaglos, und wenn sie heimkommen, dann erzählen sie dauernd die Einsatzgeschichten, und Mama sitzt daneben und nickt. Als Außenseiterin sei sie sich nicht vorgekommen, sagt sie heute, aber irgendwie schon immer als das Weichei der Familie. Und letztlich ist es dann so eine Mischung aus allem gewesen: Sie wollte die Familie nicht im Stich lassen, sie wollte zeigen, dass sie das auch kann, sie wollte den Hinterbliebenen helfen, und so absurd wie vor zwei Jahren war der Gedanke auch nicht mehr, und dann stieg sie eben ein.
    Der Fall war auch nichts Besonderes. Es war eine lange liegende Leiche in einer ganz normalen Wohnung. Kein monatelang eingetrocknetes Blut, nur Leichenflüssigkeit. Wir standen vor der Wohnung, Hardy, Jenny, ich – und Petra als Neuling, in unseren Overalls, aber ohne Masken, und wir machten uns bereit, reinzugehen. Den ganz normalen ersten Schritt in die Wohnung, um festzustellen, ob wir ohne Masken arbeiten könnten, was ja immer angenehmer ist. Und in diesem Moment, das hat mir Petra später erzählt, hat sie sich etwas vorgenommen. Sie würde auf jeden Fall durch das Zimmer gehen, bis zum Fenster, und das Fenster aufmachen. Wenn’s furchtbar war, könnte sie noch immer aufhören, aber das mit dem Fenster im Zimmer, das wollte sie unbedingt durchziehen. Sie hat sich sozusagen die Aufgabe in einzelne Abschnitte unterteilt. Und sie hat sich dazu das Zimmer ausgesucht, in dem die Leiche gelegen hatte.
    Interessante Herangehensweise.
    Sie hat es natürlich geschafft, das geht schon, so was kriegt man irgendwie hin. Aber als ich sie dann wiedergesehen habe, hat sie reichlich

Weitere Kostenlose Bücher