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Kein Job fuer schwache Nerven

Kein Job fuer schwache Nerven

Titel: Kein Job fuer schwache Nerven Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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immer wieder ein dumpfes » fupp«, wenn eine der großen Spinnen im Rohr verschwand. Es war keine schöne Arbeit, aber es war immer noch angenehmer, als einen Blick auf den Boden zu werfen.
    Das Schlimme war nicht das Chaos, das war nur ein Beleg dafür, dass der Mann mit allem überfordert war, was simpler war als ein Computerprogramm. Im Wohnzimmer etwa führte eine mühsam berollbare Schneise durch den hüfthohen Abfall zu zwei Computerbildschirmen. Vom Arbeitsplatz hatte sich der Müll offenbar ausgebreitet. Gegessen hatte er hier Pizza, Fertigprodukte, und die Reste davon hatten sich erst auf dem Computer getürmt, dann wurden sie nach rechts auf das Sofa ausgelagert und von da auf den Boden. Wenn man das zwei Jahre lang macht, hat man schon mal eine gute Basis an Abfall. Dazwischen kaufte er neue Computer, Elektrogeräte, wir angelten auch zwei nagelneue, ungeöffnete Karton mit Camcordern aus dem Wust. Die Kartons blieben, wo sie waren, in die Zwischenräume fielen weitere Essensreste. Gelegentlich hatte er dann immer mal versucht, Teile des Zimmers für sich zurückzuerobern. Das Projekt endete aber damit, dass der Müll energisch in entlegenere Teile des Zimmers gerammt wurde – nur so ließ sich die über die Jahre erreichte absolut gleichmäßige Verteilung im Raum erklären: Das Zimmer war regelrecht gestrichen voll. Erschütternd dabei war die Beobachtung, dass der Mann selbst immer wieder ernsthafte Versuche gestartet haben musste, etwas zu ändern. Er tat dann das, was Messies in dieser Situation immer tun: Sie kaufen zu allererst all die Dinge neu, die sie nach einem gründlichen Großputz brauchen werden. Eine neue Stereoanlage. Neue Wäsche. Das gibt einem das beruhigende Gefühl, man hätte schon mal den ersten Schritt getan – eine Selbsttäuschung, denn diese Einkäufe werden meist nicht mal ausgepackt. Wir waren diejenigen, die sie unter den Müllbergen fanden.
    Was wir noch in großer Menge fanden, war das, was man in letzter Zeit immer in diesen grauenhaften Wohnungen findet: Flaschen mit einem bekannten Geruchsneutralisierer. Ein bei Licht betrachtet recht fragwürdiges Produkt: Für richtige Problemfälle wie Leichengeruch ist er zu schwach und bei 99 Prozent der übrigen Fälle eigentlich immer nur ein Indiz dafür, dass der Kunde nicht rechtzeitig zu Wasser und Seife gegriffen hat.
    Das Schlimme waren auch nicht die Essensreste, obwohl die schon recht grenzwertig waren. Der junge Mann schien öfter mal Lust gehabt zu haben, sich etwas Vernünftiges zu kochen. Das Sinnvollste in dieser Situation wäre es gewesen, als Erstes den Herd zu reinigen, damit man überhaupt etwas kochen konnte. Er zog los, dem Gesetz des Messies folgend, und kaufte erst einmal ein. Die Lebensmittel lagerte er dann in seinem riesigen Kühlschrank und dort blieben sie, bis Schimmel, Bakterien und allerlei Tiere sie zu neuem Leben erweckten. Nein, das Schlimme waren die allgegenwärtigen Plastikflaschen.
    Anfangs hatte ich noch gedacht: » Himmel, warum kauft denn der Mensch so viel Apfelschorle? Wozu denn dieser viele Eistee? Und warum trinkt er das Zeug denn dann nicht? Ist das wieder irgendsoeine Messie-Vorratsgeschichte, oder was?« Es hätte mir gleich auffallen sollen, dass die Etiketten auf den Flaschen viel zu oft nicht zum Inhalt passten. Es gibt keine Apfelschorle in Coca-Cola-Zero-Flaschen. Und es hätte mir auffallen müssen, weil wir hier nicht von einer oder zwei oder zehn Flaschen reden. Allein im Wohnzimmer waren etwa 50 Stück, und es handelte sich hier nicht um handliche 0,33-Liter-Fläschchen, sondern um 1,5-Liter- PET -Brummer. Und im Wohnzimmer waren nur deshalb so viele davon, weil sie im Schlafzimmer keinen Platz mehr hatten.
    Das Schlafzimmer war der furchtbarste Ort, an dem ich jemals einen Menschen habe schlafen sehen. Der Boden bestand bis zur Kniehöhe vollständig aus diesen Plastikflaschen. Hier war auch mit dem Rollstuhl kein Durchkommen mehr, hier musste sich der junge Mann wohl jeden Abend aus dem Rollstuhl gewuchtet und sich über die Flaschenhalde zum Bett geschleift haben. Warum, war beim besten Willen nicht nachzuvollziehen – bevor ich mich in dieses Bett begeben hätte, hätte ich lieber den Rest meines Lebens stehend an die Wand gelehnt geschlafen. Dieses Bett war seit zwei Jahren nicht mehr überzogen worden. Die Bettdecke selbst und das Kopfkissen hatten keinen Bezug mehr. Beides hatte die bräunliche Farbe von Packpapier oder den Altpapiertüten, die es gelegentlich in

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