Kein Job fuer schwache Nerven
dann begann der Herr am anderen Ende der Leitung zu weinen. Was ich zwischen seinen Schluchzern verstand, war, dass er körperbehindert ist, offenbar ein Rollstuhlfahrer, und dass die Hausverwaltung am Dienstagmorgen in die Wohnung müsste, wegen irgendwelcher Arbeiten an den Fenstern. Und dass er die Wohnung nicht verlieren wollte. Und der Zustand der Wohnung war offenbar so, dass die Gefahr tatsächlich bestand.
» Na gut«, sagte ich, » ich schau’s mir mal an. Ich bin in einer halben Stunde da.«
Ich sah Petra an. In Petras Augen las ich folgende Worte: » Sonntag. Kein Notfall. Und: Sag mir nicht, dass du jetzt da hinfährst! «
» Nur mal gucken«, sagte ich und schnappte mir die Autoschlüssel.
Eine halbe Stunde später stand ich vor dem Haus. Ein relativ moderner Wohnblock, mehrere Wohnungen, die Haustüre unten war offen, ich musste in den dritten Stock, und mehr brauchte ich auch nicht zu wissen. Man hätte seine Wohnung auch ohne Namensschild gefunden, man musste nur dem strengen Geruch folgen. Ich klingelte.
Es knarzte und rumpelte etwas hinter der Tür. Dann öffnete jemand, und ein übelriechender, vergorener Schwall wehte heraus. Der Herr im Rollstuhl stand im Flur. Er trug eine früher mal schwarze Jeans und ein früher mal schwarzes T-Shirt, er war jung, vielleicht Mitte, Ende 20, massiv übergewichtig, er hatte den Gesichtsausdruck eines Häufchens Elend und murmelte:
» Nichts sagen. Nur schauen.«
Ich sagte nichts. Ich schaute.
Es war unglaublich, dass ein Mensch so hausen konnte.
Es war unglaublich, dass ein Mensch in einem Rollstuhl so hausen konnte. Das logischste an dem Verhau waren noch die Spinnweben: In Kopfhöhe war die gesamte Wohnung von einem dichten Gewebe aus Spinnennetzen durchzogen – immerhin noch einleuchtend angesichts der Tatsache, dass der junge Mann nie aufrecht stand. Die Spinnen lebten hier in einer Art Symbiose mit ihm, und das nicht schlecht, wenn man die beeindruckenden Menge der Spinnen ansah: Die Wohnung war in Anbetracht der Verhältnisse wirklich erstaunlich fliegenfrei.
Es gab einen einzigen Ort, den man im entferntesten Sinne irgendwie als sauber bezeichnen konnte: Das war die Badewanne. Und diese Sauberkeit kam auch nur daher, dass sie bis einen halben Meter über den Rand vollgestopft war, offenbar mit Dingen, die dauerhaft sauber bleiben sollten: nagelneu verpackte Bettwäsche, Reinigungsmittel, Klamotten, ein Wischmopp. Dort, in der Wanne, war alles sicher vor dem Kot am Boden, den die Rollstuhlreifen überall verteilt hatten. Die näheren Details wollte man sich lieber nicht vorstellen, man musste es auch nicht, weil der Boden kaum zu sehen war. Lebensmittelverpackungen und plattgewalzte Kartons von Elektrogeräten deckten ihn weitgehend ab. An der Heizung hing die Leiche eines Staubsaugers, der irgendwann mal kapituliert hatte.
Die gesamte Zwei-Zimmer-Wohnung mit Küche war hüfthoch vermüllt. Ich fragte vorsichtig nach der Finanzierung der Aktion. Die klang erstaunlich problemlos: Der junge Mann war kein Sozialfall, er war Festangestellter im öffentlichen Dienst, er kümmerte sich um Computernetzwerke. Er hatte ein festes und gar nicht mal schlechtes Einkommen, dazu bekam er von der Krankenkasse einen Zuschuss für den erhöhten Pflegeaufwand, den man als Schwerbehinderter nun einmal hat. Und er tat mir leid, weil er wirklich Angst um die Wohnung hatte, in die er erst vor zwei Jahren eingezogen war: Man konnte bequem aus der Wohnung in den Lift rollen, mit dem Lift ins Erdgeschoss fahren und dort ebenerdig auf die Straße, das ist trotz aller behindertengerechten Umbauten auch heute noch keineswegs selbstverständlich, meistens bleiben immer noch ein Treppenabsatz, eine oder zwei Stufen oder hohe Kanten als Hindernisse übrig.
Also sagte ich zu, und weil bis Dienstag ja wirklich nicht mehr lang hin war, sammelte ich die Truppe ein, die am schnellsten einsatzfähig war. Didi, Hardy, dazu meine Tochter Jenny und meine Frau Petra. Petra konnte ihre Begeisterung irgendwie nicht so recht zeigen. Aber das war immer noch besser, als wenn ich ihr im Detail gesagt hätte, was in der Wohnung auf sie wartete. Dann wäre sie vermutlich gar nicht erst mitgekommen. Und wenn ich ganz ehrlich bin, hab’ ich mir das schon gedacht und lieber mal nicht zu viel verraten.
Wirklich vergessen habe ich nur Jennys Spinnenphobie. Weshalb ich bei der Ankunft erst mal mit dem Staubsauger die Decken abfuhr. Die Spinnweben verschwanden problemlos, dazwischen hörte man
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