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Kein Job fuer schwache Nerven

Kein Job fuer schwache Nerven

Titel: Kein Job fuer schwache Nerven Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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weiter und begab mich nach unten, um statt Klaus die Säcke in Empfang zu nehmen.
    Das war ein Fehler, es ist nur nicht so ganz leicht, festzustellen, wer Schuld hat. Vielleicht hätte ich Andi auf die Wasserauslässe der Balkone aufmerksam machen müssen, vielleicht hätte er auch selber drauf achten sollen: kleine Rohre, die waagkrecht durch die Balkonbrüstung nach außen ragten, nicht richtig scharfkantig, aber eben doch widerspenstig genug, dass sich ein Sack verhaken kann, wenn man ihn zügig von oben nach unten daran vorbeiseilt.
    Ich sehe den Moment noch immer vor mir: Der Plastiksack gleitet nach unten, auf den Haken im zweiten Stock zu, ich habe meiner Erinnerung nach sogar noch irgendeine Warnung geschrien, aber der Sack sitzt auf, er zerreißt in Zeitlupe, in Superzeitlupe, er geht auf wie ein Vorhang, und heraus purzeln sechs bis acht große goldbraune Plastikbomben, sie fallen nicht senkrecht wie Steine, sie drehen sich elegant, man sieht es, man hat diesen seltsamen inneren Zwiespalt, man ist hin- und hergerissen zwischen Hinlaufen und Abfangen und Weglaufen, aber man tut natürlich überhaupt nichts, weil man überhaupt nicht wüsste, wo man zuerst hingreifen sollte, man überlegt nur, wie belastbar PET -Flaschen tatsächlich sind, und dass man das ja gleich erfahren wird und, wenn man schon dabei ist, weil in solchen Momenten die Zeit irrsinnig langsam vergeht, dann denkt man sich auch, was das wohl für ein Geräusch macht, wenn eine Flasche voller Monate alter vergorener Pisse auf einem mit Plastik abgedeckten Betonfußboden aufschlägt. Ob das vielleicht knallt?
    Es knallt nicht.
    Es macht » dsss!!!!«
    Bei mehreren Flaschen natürlich mehrfach, etwa so: » dsssdsssd-d-d-dssss!!!!«
    Modell Flächenbombardement.
    Durch die Wucht eines Sturzes aus dieser Höhe spritzt der Inhalt dann auch problemlos über die gesamte Terrasse des italienischen Lokals samt Gästen. Mit Ausnahme der Gäste, die hinter mir standen, für die habe ich die Hauptsache des Schwalls abgefangen.
    Daraufhin nahm ich mir die Freiheit, hinter einen Müllcontainer zu stürzen und mich zu übergeben. Und ich war noch nicht fertig, als mein Handy klingelte. Ich weiß ganz ehrlich nicht mehr, mit welchen Worten ich mich gemeldet habe, aber ich weiß noch, als ob es gestern gewesen wäre, dass der junge Mieter am Apparat gewesen ist und mir mit einer Mischung aus Vorwurf und Betroffenheit ins Ohr jammerte:
    » Ich habe das alles mitangesehen.«
    Ich ließ sofort jegliche Abseilarbeit stoppen, und die nächsten drei Stunden haben wir das Lokal geputzt. Ein sehr netter, sehr verständnisvoller Wirt, dem wir nach diesen drei Stunden auch etwas Umsatz verschafft haben, indem wir selber zu ihm rein sind, um was zu essen. Besser gesagt, die anderen: Ich brachte beim besten Willen nichts runter und trank einen Schnaps. So was mach’ ich sonst nie. Vielleicht bin ich ja auch nur eine Muschi.
    Anschließend nahmen wir für den Rest des Mülls den Lift. Der Hausmeister zeigte sich nach dieser Katastrophe großzügig, vorausgesetzt, wir würden den Aufzug vorher komplett mit Plastikfolie auskleiden. Dann machten Hardy und ich uns in der Wohnung an die Geruchsbekämpfung mit Chlorbleichlauge. Eigentlich hätte man da drin auch den kompletten Boden rausreißen und neu machen müssen, aber die Zeit hatten wir nicht mehr, am nächsten Tag war ja schon die Wohnungsbesichtigung.
    Geholfen hat das Unternehmen nichts. Wir haben zwar noch das Sozialamt alarmiert, aber letzten Endes haben sie ihn aus der Wohnung rausgeworfen, und ich kann es ihnen nicht mal verdenken. Wir haben den Kontakt zu dem jungen Mann allerdings aufrechterhalten, ich habe ihm auch neue Möbel von einer Wohnungsauflösung an einem Leichenfundort besorgt, geruchsneutral, natürlich, kostenlos, für seine neue Wohnung. Und das ist der Grund, weshalb ich hier wirklich sauer geworden bin.
    Wir haben ihn nämlich nach einigen Wochen besucht, in der neuen Wohnung. Da standen bereits wieder die ersten Essensreste in der Gegend herum, sie fingen schon an, unters Bett zu wandern, und die Gratismöbel standen noch immer genau so da, wie sie angeliefert worden waren. Nur zur Erinnerung: Der Mann war ja nicht arm, er hatte ein geregeltes Einkommen, der hätte sich schon jemanden engagieren können, der mal ein paar Schrauben und Dübel in die Wand bohrt. Die Rechnung, die wir ihm nicht zum Freundschaftstarif, sondern eher schon zum Verwandtschaftstarif gestellt hatten, war auch noch nicht

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