Kein Job fuer schwache Nerven
Porsche Cayenne Leute mit einer Blechschere herauszuschneiden, sondern die sich in erster Linie um die psychische Erstversorgung kümmern können. Die dann, wenn Onkel Willi beschlossen hat, die Decke des Gästezimmers neu zu streichen, und zwar mit dem Inhalt seiner Halsschlagadern, den Hinterbliebenen sagen, dass es jemanden gibt, der sich darum kümmern kann. Und hier kommen wir ins Spiel.
Ich habe anfangs immer gedacht, dass wir halt diejenigen sind, die die Normalität wiederherstellen. Wir beseitigen die Spuren des Todes, und anschließend kann das Leben wieder einziehen, so oder so ähnlich, aber wenn ich Dr. Müller-Cyran glauben kann, dann machen wir tatsächlich noch eine ganze Ecke mehr. Wir nehmen dem Vorgang durch unsere schlichte Arbeit ein bisschen das Außerordentliche. Sicher, Onkel Willis » Streichmethode « wird nie zum Normalfall werden, das kann man selbstverständlich keinem Angehörigen erzählen. Aber er sieht, er merkt bewusst oder unbewusst: Sooo besonders ist das Geschehene auch wieder nicht, es gibt ja immerhin schon eine Firma nur für solche Fälle, dann kann der Onkel Willi logischerweise nicht der Einzige sein. Weshalb sich die Angehörigen dann wieder mehr dem Umstand widmen können, auf den es eigentlich ankommt: Wie schade es doch ist, dass der Onkel Willi nicht mehr da ist – der schlichte Verlust, mit dem wir alle lernen müssen umzugehen.
Was allerdings weder Dr. Müller-Cyran noch ich so richtig bedacht hatten, war, dass sich für eine Person in diesem ganzen Fürsorgegeflecht schon was ändert. Nämlich für den Leichenfundortreiniger, der – je bekannter und selbstverständlicher seine Tätigkeit wird – immer mehr Zeit inmitten der Hinterlassenschaften des Todes verbringt. Und was das mit dem eigenen Kopf anrichtet, ich fürchte, das habe ich eine ziemlich lange Zeit unterschätzt.
25 . Rote Kiste
Petra hat den Begriff eingeführt, seither benutzen wir ihn, ganz egal, wer der Finder ist. Wir sind in irgendeiner Wohnung zugange, in der eine Leiche gefunden wurde, der eine putzt, die anderen sortieren aus, werfen weg, und irgendwann hört man, wie jemand durch die Wohnung ruft:
» Ich hab die Rote Kiste.«
Und alle denken: » Aha«.
Nicht überrascht, nicht » na endlich«, nein, das ist mehr so, wie wenn man ein Hühnchen isst, und irgendwann hat jemand den Wunschknochen. Als Kind ist das noch spannend, aber als Erwachsener weiß man: Der taucht halt irgendwann auf, weil er einfach zum Huhn gehört. Und genauso ist das mit der Roten Kiste. Meistens steht sie im Schlafzimmer.
Die Rote Kiste ist die erotische Spielzeugsammlung. Und seit ich Leichenfundorte reinige, weiß ich: Die Rote Kiste ist ein fundamentaler Bestandteil des menschlichen Lebens. Weil sie schlichtweg in jeder Wohnung vorkommt. Das ist wirklich wahr. Im ersten Buch wollte ich nicht darüber schreiben, da dachte ich, das alles sei nur Zufall. So viele Fälle hatten wir damals ja noch nicht. Und man erliegt auch seinen eigenen Vorurteilen. In einer Messie-Wohnung denkt man sich erst mal: » Klar, wer so schmuddlig lebt, der hat auch eine schmutzige Fantasie.« Oder bei all den gerissenen Ösophagus-Varizen, den verblutenden Alkoholikern: » Ja, ja, die waren einsam, und da haben sie sich eben ein paar schöne Fantasien gemacht.«
Und ganz, ganz insgeheim denkt man: » Gut, die Messies und die Alkoholiker und, hust, hust, wenn ich ehrlich bin, ich selber auch. Pfui! « Aber all diese Gedanken sind völlig falsch: Die zufällig Gestorbenen, die an Herzversagen Gestorbenen, die Selbstmörder aus allen Schichten der Bevölkerung, sie alle hatten ihre Rote Kiste. Und wenn man sich diese Roten Kisten ansähe, eine neben der anderen, und die Fälle danebenlegen würde, einen neben den anderen – es wäre unmöglich, die Kisten den Fällen zuzuordnen. Mal ist der Schmuddelsex in den schmuddligen Wohnungen und mal in den besseren. Und im schlimmsten Chaos findet sich der romantischste Blümchensex, oder auch nicht – das kann man kunterbunt auswürfeln.
Ich sage das nur, weil man sich ja beim Thema » Rote Kiste« oft denkt: » Klar, wir haben unsere, aber die Nachbarn, die Meiers, und unsere Freunde, die Hubers, die haben sicher keine. Die sind so nett und normal, die sind nicht so durchgedreht wie wir. « Ich kann jedem versichern: Sie sind es doch. Alle sind gleich durchgedreht, hab’ ich gelernt – was letztlich bedeutet, dass alle normal sind.
Denn jeder hat eine Rote Kiste. Ich kann sogar ziemlich
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