Kein Job fuer schwache Nerven
genau sagen, wie sie aussieht.
Erstens: Es ist nur eine Rote Kiste. Da sind verschiedene Utensilien drin, aber alle Utensilien sind in derselben Kiste, die liegen beieinander, selbst wenn im Schlafzimmer kein DVD -Player steht.
Zweitens: Die Rote Kiste ist im Schlafzimmer.
Drittens: Die Rote Kiste ist wahrscheinlich keine Kiste, und rot ist sie wahrscheinlich auch nicht. Sie ist vermutlich eine Schublade.
Und wie richtig liege ich mit meinen Vermutungen?
Es ist schon komisch, wenn man sich überlegt, dass wir alle uns mit unseren Roten Kisten so benehmen, als wären wir die Einzigen, die so was daheim haben. Die Frage für uns Leichenfundortreiniger ist: Wie gehen wir mit den gefundenen Kisten um?
Denn befremdlich ist das schon. Das Gefühl ist ja immer das Gleiche: Man findet etwas, von dem jemand eigentlich nicht gewollt hätte, dass andere Leute das in die Finger bekommen. Völlig egal, ob da jetzt Handschellen drinliegen oder nur ein » Cora«-Roman – der Tote hätte nicht gewollt, dass andere Leute das sehen. Aber andererseits bin ich mir ziemlich sicher, dass es den Toten im Zweifelsfall lieber wäre, wir finden die Sachen. Das ist ja auch mit anderen Dingen und Themen so: Manchmal redet man mit einem Fremden, einem Polizisten, einem Feuerwehrmann, einem Tatortreiniger leichter als mit einem Verwandten. » Ich bin so froh, dass es vorbei ist!« – nach einem langwierigen Sterben würden sich die Angehörigen das untereinander wohl nie sagen, so verständlich so was auch sein kann. Aber dem Arzt, der Krankenschwester, dem Bestatter, dem Leichenfundortreiniger sagen sie es. Nicht mal, weil all diese Leute so verschwiegen wären, sondern vor allem, weil sie all die anderen Beteiligten nicht kennen. Sie werden mit denen nicht reden. Und auch, weil die Menschen hoffen oder manchmal sogar davon ausgehen, dass wir so was wie das schon mal erlebt, gesehen, gehört haben. Und dazu zählen eben auch die Roten Kisten der Verstorbenen. Die sind bei uns in den besten Händen.
Wir erwähnen diese Kiste nicht. Wir schauen auch nicht neugierig rein, weil es nichts gibt, was uns darin großartig überraschen könnte. Wir gucken rein, weil Wertgegenstände drin sein könnten, in Schlafzimmerschubladen kann auch mal Schmuck liegen, den man für die Angehörigen sicherstellen muss, aber sonst … Ich meine, irgendwann hat man eben alle Vibratoren gesehen und denkt sich nur noch hin und wieder: » Hübsch«, oder: » Groß!« oder: » Das ist ja mal eine ungewöhnliche Farbe!«, so, wie man auf der Straße manchmal hinter einem Auto herschaut und sich denkt: » Da schau an, der neue Golf VII .« Abgesehen davon entsorgen wir die Kiste still und leise. Petra sagt immer: » Warum sollte man einem Sohn was vom Vibrator seiner toten Mutter erzählen?«
Recht hat sie.
26 . Ladenschluss
Manchmal ist das Wichtigste einfach die Geschwindigkeit. Das ist besonders dann der Fall, wenn der Tote vor allem eines ist: hinderlich. Das würde zwar niemand so sagen, aber letztlich ist genau das das Problem, wenn jemand plötzlich an einem öffentlichen Ort stirbt, der auch für andere zugänglich sein und bleiben soll. Manchmal gibt es da natürlich pietätvolle Alternativen: Wenn zum Beispiel jemand in einem Bus stirbt, dann lässt der Busfahrer die anderen Fahrgäste eben aussteigen, und die Zentrale schickt einen Ersatzbus. Aber falls jemand in einem Supermarkt stirbt, kann die Zentrale keinen Ersatzsupermarkt schicken. Können die Menschen hier nicht einkaufen, gehen sie zur Konkurrenz, so einfach ist das, und deshalb kostet die Leiche den Supermarkt in jeder Sekunde, die sie länger daliegt, Geld. Jedenfalls wenn der Tote so gestorben ist wie in dem Supermarkt in München.
Wir waren grade in der Pause beim Mittagessen, zwischen einem Wespennest und einer Mäuseplage, als das Telefon klingelte. Eine Frau mittleren Alters war am Apparat. Sie stellte sich als Leiterin eines Supermarkts vor, und sie hatte einen Toten mitten im Geschäft. Und sie dürfe die Reinigungsarbeiten nicht selbst machen, sie bräuchte einen Fachmann, das hätte ihr die Leichenbeschauerin der Polizei gesagt. Ob wir Zeit hätten? Es sei wirklich dringend, sie könne sonst den Supermarkt nämlich nicht wieder für die Kundschaft freigeben.
Die Dame hatte Glück: Wir waren tatsächlich ganz in der Nähe, und wir konnten den Mäusekrieg des anderen Kunden verschieben. Wir waren sogar schneller da als der Bestattungsdienst – als wir eintrafen, lag die Leiche noch
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