Kein Job fuer schwache Nerven
hochwertiger Feuerwehreinsatzstiefel, die Dinger kosten 200 Euro pro Paar, wanderte in den Müll. Letzten Endes war das auch eine Schnapsidee gewesen: Die Kombination aus Wasserstoffperoxid und Salzsäure ist schließlich ein beliebtes Ätzmittel, mit dem Künstler ihre Zeichnungen und Radierungen in Kupferplatten ätzen; ein Lederschuh leistet dieser Mischung so viel Widerstand wie ein nasses Papiertaschentuch.
Ich zog schimpfend meine Ersatzschuhe an und ärgerte mich. So viel Unprofessionalität! Da wird man bald 48, und es kommt immer noch vor, dass man sich benimmt wie ein Schulbub im Chemieunterricht. Na ja, und dann haben wir eben die Betonfräse genommen.
Eine Betonfräse ist nichts anderes als eine Schleifmaschine. Als ob man mit rasend schnell rotierendem Schmirgelpapier den Boden abraspeln würde. So was funktioniert natürlich immer, aber es ist trotzdem nicht immer die erste Wahl, weil es eben langwierig ist. Einen Betonfußboden großflächig einen halben bis ganzen Zentimeter tief abzuraspeln, dauert seine Zeit, und man will dem Kunden ja nicht unnötig Arbeitsstunden bescheren. Außerdem entstehen große Mengen von feinem Betonstaub; in geschlossenen Wohnräumen würde man die Fräse daher nicht unbedingt einsetzen. In der Halle ging’s natürlich einfacher.
Anschließend haben wir die Fläche noch einmal mit Chlorbleichlauge behandelt und abschließend noch einmal desinfiziert. Bis abends um 22 Uhr haben wir gearbeitet. Und da ist noch nicht mal die Nachreinigung miteingerechnet. Unser Auto hat ausgesehen wie Sau, und zwar war es von oben bis unten in jeder Ritze voller Polystyrolmehl. Ich hätte nie, nie, nie gedacht, dass dieses Kugelzeug derart staubt. Aber das Putzen habe ich mir für später aufgehoben, denn vorher hatten wir erst mal Hunger. Und dabei haben wir die Schloss-Schänke gefunden. Böhmisch-tschechische Küche.
Wie gesagt, wer mal grade fünf Liter Blut aus einer Styroporfabrik entfernt hat – der sollte hinfahren und die Küche ausprobieren.
24 . Kopfsachen I
Wenn wir alle keine Menschen wären, sondern Hamster, dann gäbe es meinen Beruf gar nicht. Das sagt wenigstens Andreas Müller-Cyran, der Leiter und Erfinder des Münchner Kriseninterventionsteams KIT und überhaupt der geistige Vater aller deutschen KIT s. Mit Schimpansen wäre das vermutlich etwas anderes, da könne er es nicht so genau sagen, daran würde gerade noch geforscht. So wäre es durchaus möglich, dass ein Schimpansen-Müller-Cyran vor fünf Jahren einen Schimpansen-Peter-Anders gefragt hätte, ob er nicht Leichenfundorte reinigen möchte. Weil nämlich, so sagt Herr Müller-Cyran, die Vermutung besteht, dass auch Schimpansen im Zusammenhang mit dem Tod eines Artgenossen mehr empfinden als nur » Nichts wie weg!« oder » Hauptsache, es trifft nicht mich!«.
Denn genau das ist es, was die meisten anderen Säugetierarten bei diesem Thema empfinden und vor 1 0 000 oder 2 0 000 Jahren vielleicht auch noch unsere Vorfahren. Für den Hamster wird ein toter Hamsterkollege sofort zu einer Art Gegenstand. Für eine Ratte wird eine tote Mitratte immerhin noch zur Warnung, aber wenn keine erkennbare Gefahr herrscht, dann ist die tote Ratte damit abgehakt und liegt halt auf dem Boden herum wie in der Wohnung die Zeitung von gestern. Aber der Mensch reagiert nicht so. Der Mensch trauert.
Das ist schon bei normalen Todesfällen ziemlich belastend. Trauer bedeutet, dass das Gehirn den Verlust verarbeitet. Und die Menge der Trauerarbeit, sozusagen die Tiefe der Trauer, hat dabei etwas mit dem Umfang der Verlusterfahrung zu tun. Wenn Oma mit 98 Jahren stirbt, ist das zwar auch traurig, aber doch immerhin erwartbar und dadurch leichter verkraftbar. Wenn der Lebenspartner mit 32 plötzlich stirbt, ist das schon heftiger.
Diese Trauer kann einem niemand abnehmen. Man kann sie aber ein wenig erleichtern, indem sich der Trauernde mit dem Tod, mit dem Sterben des geliebten Menschen vorher, währenddessen und nachher auseinandersetzt. Beerdigungsinstitute und Hospize halten die Hinterbliebenen heute nicht mehr verkrampft vom Leichnam fern, sondern bieten den Menschen an, die letzte Reise sozusagen mitzuorganisieren. Schon das Dabeisein beim Einsargen nimmt einem das Gefühl, man hätte den Verstorbenen in einem entscheidenden Moment alleingelassen. So etwas erleichtert das Begreifen, das Abschiednehmen. Aber es gibt Fälle, in denen diese Mithilfe schwerfällt. In denen etwas diese Trauerarbeit behindert.
Dieser Fall tritt
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