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Kein Job fuer schwache Nerven

Kein Job fuer schwache Nerven

Titel: Kein Job fuer schwache Nerven Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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schlitzte ihm dabei den gesamten Unterarm auf, aber das Messer blieb in den Muskeln hängen und wurde dadurch zur Seite weggeschleudert.
    Schwer vorstellbar, woher er dann noch die Energie nahm, aber er hat den Mörder rausgeschmissen, einfach vor die Tür gestoßen, die er ihm vor der Nase zuknallte. Und dann ging er zum Telefon. Es muss ein Albtraum gewesen sein, und man konnte ihn anhand seiner barfüßigen Blutspuren in der Wohnung nachvollziehen. Er war zum Wohnzimmer gegangen, nur einen Schritt hinein, und das hatte ihm genügt, um zu sehen, dass das Funktelefon nicht in seiner Ladestation war. Er blutete endlos aus dem Hals, aus dem Bauch, aus dem Arm, und er überlegte fieberhaft, wo die Tochter das Telefon hatte liegen lassen. Er taumelte, man sieht es an den Fußspuren im Blut, seine Füße rutschten immer wieder unter ihm weg, glitsch, nach links, glitsch nach rechts – bei jedem Schritt suchte er irgendwo nach Halt, er ging in die Küche, sah sich verzweifelt um, wieder zurück in den Flur, wo er halb wegrutschte und an der Wand einen perfekten blutigen Handabdruck hinterließ, dann schlitterte und glitschte er in das zweite Badezimmer, ganz nach hinten zur Toilettenschüssel, wo er das Telefon gefunden haben muss. Er wählte die 110, und als die Polizei abhob, stellte er fest, dass er mit seinem durchtrennten Hals ja kein hörbares Wort sagen konnte.
    Das war vermutlich der Moment, wo er aufgab.
    Er schleppte sich wieder ins Schlafzimmer und klappte mit den Worten: » Ich kann nicht mehr« zusammen. Was ihm das Leben gerettet hat, waren letztlich die Nachbarn, die vom Lärm aufgerüttelt, Polizei und Rettungsdienst alarmiert haben. Sie hätten vielleicht auch zu helfen versucht, aber vor dem Haus stand der Täter. Er hatte sich bequem an die Motorhaube seines Autos gelehnt, sich eine Zigarette angesteckt und sagte großzügig: » Sie können ruhig die Polizei rufen. Ich hab’ jetzt alles getan, was getan werden musste.«
    Der Rettungsdienst hatte dann die Wohnung geöffnet. Die Spuren seiner Arbeit konnten wir noch sehen. Einer hatte sich um die Tote zu kümmern versucht, der andere kümmerte sich um den Schwerstverletzten im blutgetränkten Bett. Um das Bett herum lagen Ampullen von Schmerzmitteln, Kochsalzlösung, Muskelrelaxans und ein zusammengedrehter Socken mit Klebestreifen – damit hatte der Rettungssanitäter improvisationshalber eine der Blutungen gestoppt. Sie haben ihn abtransportiert, auf die Intensivstation. Und die Polizei, die den Mörder festgenommen hatte, holte die schlafende Tochter aus der Wohnung.
    Ich habe noch nie so wütend, so empört geputzt.
    Aber Wut hilft ja nichts. Letztlich muss die Wohnung ja sauber werden. Wir haben sie zuerst desinfiziert, dann mit dem Sprühextraktionsgerät erst einmal den Boden gereinigt. Das hat in solchen Fällen immer Vorrang, es bringt ja nichts, von oben nach unten zu putzen, wenn man das Blut anschließend mit den Füßen dauernd wieder in der Wohnung verteilt. Und außerdem ist es unangenehm, in dieser Menge besonders. Als wir den Tank des Geräts leerten, ist es mir erst mal aufgefallen: Die Mischung Blut:Reinigungsmittel war ungefähr 1:1, ich habe noch nie eine derartig dickflüssige tiefrote Schmutzwassermenge entsorgt. Dann haben wir das Team gesplittet. Petra hat die Toiletten zu putzen begonnen, Hardy hat alles zum Entsorgen vorbereitet und zusammengetragen, was nicht mehr zu benutzen war. Und ich habe erst das Blut von den Wänden geschrubbt und sie dann mit unserem Graffiti-Set zum Neustreichen vorbereitet.
    Es steht tatsächlich » Graffiti-Set« auf unserer Streich- und Farbkiste, ein etwas flapsiger Begriff, das stimmt schon. Aber man ist in solchen Situationen wirklich dankbar dafür. Während man die blutigen Handabdrücke von der Wand schabt und schrubbt, will man wirklich nicht dauernd auf der Kiste irgendwas lesen wie » Blutspritzerentfernungskiste«, da ist so was Simples wie » Graffiti-Set« eine erleichternde Ablenkung. Wir wissen, dass wir Blut wegwischen, da muss man nicht auch noch dauernd mit der Nase draufgestoßen werden. Wir haben den Isolierlack drübergestrichen, später dann die hochwertige Wandfarbe, erstklassig deckend. Wir haben die Wohnung aufgeräumt, das Kinderzimmer hergerichtet, die Sofakissen ordentlich arrangiert. Wir haben knapp zehn Stunden in dieser Wohnung gearbeitet, dann haben wir sie der Mutter der Toten übergeben. Sie war erschüttert, mit der Arbeit zufrieden, aber vor allem erschüttert.

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