Kein Kanadier ist auch keine Lösung
zufrieden mit sich aus und sie überlegte, wer hier wohl wen herumzukriegen versuchte. Vielleicht war er heute sogar absichtlich so früh ins Büro gekommen war, da er sich hatte denken können, sie würde nicht so schnell aufgeben. Sie verließen das Gebäude und Stuart führte sie die Straße entlang.
„ Nicht weit von hier ist ein nettes Frühstücksrestaurant“, sagte er im Plauderton.
Sie lächelte ihn kurz an und blickte dann wieder nach vorn. Plötzlich blieb Stuart stehen.
„ Was ist, Mr. Stuart?“
Er machte eine ungeduldige Geste. „John.“
„ Okay, okay. Was ist los, John?“
Er hielt etwa eine Armlänge Abstand, ohne sie loszulassen.
„ Noch immer dasselbe Kleid.“
John wirkte ehrlich verblüfft. Spontan wollte sie ihn fragen, was zur Hölle ihn das anginge, doch sie sah ein, es würde sie in ihrem Vorhaben nicht weiterbringen. Ihr neues Selbst kostete sie einiges an Konzentration.
„ Nicht gerade schmeichelhaft für mich, dass du das jetzt erst bemerkst“, sagte sie stattdessen.
In ihrer Vorstellung hatte sie sich mit dem mehr persönlichen Vornamen von dem deutschen Sie verabschiedet. Sie konnte sich viel besser über ihn aufregen, wenn sie ihn in Gedanken mit Du ansprach.
„ Oh, es fiel mir sofort auf. Aber ich wollte nicht gleich damit herausplatzen. Ich hatte Angst, du zerkratzt mir das Gesicht.“
Er blinzelte ihr zu. Gut so, dachte sie. Ich werde dir noch viel mehr zerkratzen, wenn du die Präsentation ruinierst.
„ Ich liebe dieses Kleid, weißt du?“
„ Oh. Okay.“
Er schien ihr zu glauben. Anscheinend hatte er schon viele Verrückte gesehen und dachte nicht weiter darüber nach. Sie lachte auf.
„ Nein, mein Koffer ist noch nicht angekommen, und das hier ist das Einzige was ich anzuziehen habe.“
„ Ach so! Ich Idiot, sorry.“
„ Schon gut. Kennst du ein Geschäft, in dem ich zu einem vernünftigen Preis etwas kaufen kann?“
Er blinzelte in die Sonne. Diesmal trug er keinen Schlips und die obersten Knöpfe des weißen Hemdes standen offen. Ein paar schwarze Haare ließen sich blicken. Verheißungsvoll. Die langen Ärmel des Hemdes hatte er hochgekrempelt. Der schwarze Ledergürtel passte zu der knallengen schwarzen Jeans und den schwarzen Cowboystiefeln. Nicht gerade der typische Büroanzug, aber mein Gott, sah der Mann gut aus! Sandra hatte alle Mühe, ihren Blick abzuwenden und seinem deutenden Finger zu folgen.
„ Kein Problem. Da vorn ist ein Einkaufszentrum. Ich empfehle Macy's.“
Sie beschlossen, nach dem Frühstück einkaufen zu gehen. John hielt ihr zuvorkommend die Tür auf. Sie kam sich behindert vor. Sie dachte an Tantchen und die alten Werte und stellte sich vor, wie stolz Tante Gudrun sein würde, könnte sie sie jetzt sehen. Ein Mann hielt ihr die Tür auf und sie ließ es kommentarlos geschehen. Sie war sogar zur Seite getreten, um ihm das Feld zu überlassen, denn sie war als Erste an der Tür gewesen. Weshalb sie sich behindert vorkam. Es wäre ein Leichtes für sie gewesen, die Tür selbst aufzudrücken. Sie fragte sich, ob sie sich je an dieses Spiel gewöhnen würde. Vor ihrem geistigen Auge sah sie sich in Zukunft vor verschlossenen Türen stehen, darauf wartend, dass ein Mann vorbeikam, um sie für sie zu öffnen, als habe sie selbst keine Arme.
Doch John führte seine galante Art mit Routine aus und auf seinem Gesicht erschien ein Lächeln, als sie ihn gewähren ließ. Er genoss es. Verwirrend. Wäre sie ein Mann, würde sie sich unendlich dumm vorkommen, für eine Frau den Diener zu spielen. Männer sind seltsame Wesen, dachte sie.
Das Café war ein typisch amerikanisches Diner, mit plastiküberzogenen roten Bänken, endlos Kaffee und riesigen Portionen Frühstück, bestehend aus Bratkartoffeln oder Fritten, Eiern in jeder nur denkbaren Variation, daumendicken Toastscheiben, Marmelade, Pfannkuchen, zig Plastikflaschen voller goldgelber klebriger Flüssigkeiten, und andere Köstlichkeiten. Sandra entschied sich bescheiden für Vollkorntoast mit Marmelade und sah staunend zu, wie John vier Pfannkuchen mit Banane und Sahnehäubchen plus einem Teller gebratenen Speck verdrückte. Nach einem solchen Frühstück wäre sie bis Weihnachten satt gewesen.
„ Wie geht es Rolf?“, fragte John kauend.
„ Ich glaube, er hat einen Kater. Er war gestern Abend in der Bar.“
„ Schläfst du mit ihm?“
Sie verschluckte sich an ihrem Kaffee.
„ Nein!“, rief sie unter Husten, bevor sie realisierte, dass sie es gar nicht nötig
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