Kein Kind ist auch (k)eine Lösung
um nach Kiel zu fahren. Und dann noch dieses absurde Telefonat.
Ich drehte mich hin und her, hatte weder Lust auf Justus Jonas, Peter Shaw und Bob Andrews noch auf sonst irgendwen oder irgendwas – außer Micha.
Was war eigentlich los mit mir? Da hatte ich so lange auf den Richtigen gewartet! Jetzt war der Richtige gerade mal ein Dreivierteljahr da, der Mann, mit dem das Leben wieder lustig war, und schon war er kurz davor, den Rückzug anzutreten. Und ich? Ich war cool, bockig und tat, als ginge es hier um die Frage, welche Marmelade auf den Tisch kommt – nicht in Bezug auf die Nachwuchsfrage, sondern in Bezug auf ihn, auf uns. Etwas mehr Einsatz, etwas mehr Kampfgeist sollte ich schon zeigen. Für ihn musste es ja so aussehen, als wäre es mir egal, wie lange er noch den Marder verjagte. War es aber nicht. Lieber würde ich auf Alu kauen, als noch eine Nacht meines Lebens ohne ihn zu verbringen. Jawohl!
Und wenn … wenn ich ein Kind bekäme? Wäre das die Lösung? Vielleicht besaß ich ja doch das Muttergen und wusste es nur nicht? Aber wie konnte man so was rausfinden? Gab es vielleicht einen Gentest, der einem sagte, ob man zu so was taugte oder nicht? Ich konnte ja schlecht ein Kind bekommen, feststellen, dass ich dieses Gen nicht hatte, und es dann im Tierheim abgeben oder wo auch immer. So ein Kind konnte man nicht testen und dann zurückgeben.
Ich setzte mich im Bett auf, das Kissen im Rücken, und sah aus dem dunklen Zimmer nach draußen. So ließ es sich besser denken.
Und wenn ich dabei blieb, dass ich kein Kind wollte? Wobei ein Kind ja nun auch wirklich kein Weltuntergang war. Ich sollte ja hier nicht sämtliche Organe spenden, ich sollte Leben spenden. Und auch etwas davon behalten – möglichst.
Ich kam nicht weiter.
»This is the end, my only friend … the end«, sang Jim Morrison in meinem Kopf, ohne dass ich ihn darum gebeten hatte.
Ich nahm mein iPhone und schickte ihm: Ich liebe dich . Etwas Intelligenteres fiel mir nicht ein.
Und in den gefühlten dreißig Minuten, die ich doch kurz einschlief, träumte ich, er wäre gar nicht zu seinen Eltern gefahren, sondern heimlich nach Berlin, um Leo ihren Herzenswunsch zu erfüllen … und sich seinen.
Ein halber Liter Kaffee reichte am nächsten Morgen nicht, um aus mir einen einigermaßen funktionstüchtigen Menschen zu machen. Es hatte keinen Sinn. Ich meldete mich krank. Eine Zehnerkarte für den nächstbesten Psychologen hätte vielleicht helfen können, aber selbst zum Reden war ich zu müde – und das hieß was.
Nachdem ich im Sender angerufen und erzählt hatte, ich würde über der Kloschüssel hängen, legte ich mich um kurz vor sieben wieder ins Bett. Und dabei blieb es auch.
Wie eine pubertierende Vierzehnjährige schielte ich in regelmäßigen Abständen, wenn ich kurz aufwachte, auf mein Handy, in der Hoffnung, Micha würde sich mal melden. Tat er aber nicht. Zumindest nicht persönlich.
Immerhin schickte er eine MMS. Ein Foto von Hugo und Huberta, im Körbchen liegend. Na, wenn die wüsste. Huberta meine ich.
Zwei Spaziergänge mit Waltraud um den Block, das waren meine einzigen Tätigkeiten an diesem Tag.
Erst am nächsten Morgen, nach einer Dusche, die ich dringend nötig hatte, und zwei XXL-Latte-macchiato hatte ich wieder das Gefühl, ich selbst zu sein.
Zumindest bis Ilka vor der Tür stand. Ach, Gott, es war ja Samstag. Die SMS hatte ich völlig verdrängt.
Karlotta schlief nicht, als sie samt Wickeltasche, Fläschchen, Schnullertuch und einer überdimensional dicken »Krabbeldecke« auf meinem Sofa abgesetzt wurde, was mir ernsthaft Sorgen bereitete. Mit schlafenden Kindern kannte ich mich aus, bei wachen hingegen musste man sich auf alles gefasst machen. Vor allem musste man interpretieren können, und das war die größte aller Herausforderungen. Schließlich konnte sie sich – wie Ilka behauptete – schon »total gut mitteilen« für ihre vierzehn Monate. Blöd nur, dass ihre Mutter die Einzige war, die diese Mitteilungen verstand. Mir blieb eher die Rolle der Ratenden oder Ratlosen bei dem, was Karlotta da von sich ließ.
»Rogaga! Rogaga!«, sagte sie voller Begeisterung und mit der tiefen Überzeugung, mir gerade eine sehr wichtige Botschaft überbracht zu haben.
»Motorrad. Sie meint ein Motorrad. Wir haben eben eins gesehen«, übersetzte Ilka.
Aha. Das konnte ja was werden. Sie kam voll nach ihrem Vater.
Hoffentlich hatte Ilka ihrer Tochter schon mitgeteilt , dass sie gleich die Wohnung verlassen
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