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Kein Kind ist auch (k)eine Lösung

Kein Kind ist auch (k)eine Lösung

Titel: Kein Kind ist auch (k)eine Lösung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T Wolf
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noch hin.«
    Waltraud war zu Tode beleidigt. Nicht weil ich sie nicht trug, sondern weil ihre Karre stehen blieb und ich stattdessen Karlotta chauffierte. Da musste sie durch. Ich besaß schließlich keine Zwillingskarre.
    Zumindest Karlotta war zufrieden, sobald der Kinderwagen wackelte. Wir fuhren an die Ecke, zum Portugiesen, ich bestellte mir einen Galão, der Wagen stand, Karlotta maulte.
    Obwohl es draußen deutlich frischer und ungemütlicher war, als es der Blick aus dem Fenster eben verraten hatte, rief ich der Bedienung hinterm Tresen »To go!« zu, und plötzlich wurde mir klar, dass diese Schnabeltassen aus Pappe eine Mutter erfunden haben musste.
    Ich befestigte Waltrauds Leine am Kinderwagen, schob mit einer Hand und hielt mit der anderen den Becher, als mein Handy klingelte. Reflexartig ließ ich den Kinderwagen los und griff nach meinem Telefon. In der Sekunde rollte der Wagen samt Hund und Kind weiter Richtung Straße, die ich zwar überqueren wollte, allerdings nicht getrennt vom Kinderwagen.
    Von links kam ein Kleintransporter. Ich schmiss mein Handy weg, machte einen Satz nach vorne und griff mit der freien Hand nach dem Kinderwagen, gerade am Ende des Bordsteins. Karlotta sah mir direkt in die Augen – von Frau zu Frau. Ich zog sie zurück auf den Bürgersteig, der Kleintransporter bremste mit quietschenden Reifen. Irgendjemand schrie hysterisch auf. Und das war nicht ich.
    Mir blieb das Herz stehen.
    Der Fahrer des Kleintransporters schüttelte den Kopf, ich zog den Kinderwagen ein Stück vom Bordstein weg, trat auf die Fußbremse, um ihn einen Augenblick loslassen zu können und bückte mich nach meinem Handy, dabei goss ich den Kaffee erst über Waltrauds Fell und dann über meinen Mantel. Hilfe.
    Ich wollte doch einfach nur mal kurz spazieren gehen. Wie machten denn andere Mütter das? Waren die danach auch alle schweißnass und mit den Nerven am Ende oder ihre Kinder überrollt? Dass Micha das alles nicht einsehen wollte …
    An der nächsten freien Parkbank auf dem Spielplatz Ecke Arnoldstraße nahm ich Karlotta aus dem Wagen. Ich hatte das große Bedürfnis, mich zu vergewissern, dass sie alles gut überstanden hatte. Alles dran. Prima.
    Waltraud legte sich unter die Bank und leckte sich ihr Latte-macchiato-Fell ab.
    Ich hielt die Kleine fachgerecht im Arm, schön in die Decke gehüllt, und betrachtete sie. Wenn Micha mich jetzt sehen würde, dachte ich, wurde aber schnell von weiteren Gedanken dieser Art abgehalten.
    Eine Frau mit ohrenbetäubend hoher Stimme hielt ihren Kopf über Karlotta. »Oh, Gott, ist die süüüß!«, quietschte sie.
    Ihr kleiner Sohn, der alles andere als süß war, stand stumm daneben. Er steckte in einem Ganzkörpergummianzug und hielt rechts und links Schaufeln in den Händen, als wollte er in den Krieg ziehen.
    Ich nickte und sah Karlotta an. »Stimmt. Findet die Mutter auch.«
    Mein Handy klingelte wieder.
    Ilka. Zufälle gab’s.
    »Na, ich wollte nur kurz fragen, ob alles gut ist? Ich hatte eben schon mal angerufen, aber da hab ich nur so komische Geräusche gehört …«
    »Alles bestens«, unterbrach ich sie. »Mach du mal deine Bewerbung. Hier ist alles tipptopp«, sagte ich und überlegte, wie man Kaffeeflecken rausbekam – aus Hundefell.
    »Super, dann bis nachher!«
    Nachdem ich aufgelegt hatte, drückte ich auf das Kamerasymbol auf meinem iPhone und machte Bilder von Karlotta, die ich inzwischen auf meine Oberschenkel gesetzt hatte. Wohin auch sonst.
    Mein Nacken fühlte sich an, als wäre er aus Granit. Ich versuchte, mich zu entspannen. Schließlich war doch alles gut. Karlotta hatte anscheinend nichts gegen die Situation einzuwenden, aber irgendwie erwartete ich die ganze Zeit die nächste Katastrophe. Doch die blieb aus. Hatte ich ein völlig falsches Bild von Kleinkindern? Warum erwartete ich immer sekündlich einen Weltuntergang?
    In dem Moment wackelte der Kinderwagen neben mir derart, dass er drohte umzukippen. Waltraud war auf die Bank gesprungen und von da aus mit einem alles andere als grazilen Satz direkt in die Karre des Kinderwagens.
    »Waltraud!«, schimpfte ich, nahm Karlotta in den Arm und sprang von der Bank auf.
    Ein älterer Mann, der mehrere anscheinend viel zu schwere Plastiktüten trug, blieb kurz stehen, sah uns an, schüttelte den Kopf.
    »Menschenskinders. Das arme Ding. Wie kann man seinem Kind nur so was antun! Waltraud! Was denken sich die Leute nur dabei?« Dann ging er, immer noch kopfschüttelnd, weiter.
    Recht hatte

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