Kein Kind ist auch (k)eine Lösung
hatte. Toll. Da gab es doch tatsächlich dicke, warme Fellhandschuhe, die so an der Stange befestigt waren, dass man nur noch reinschlüpfen und losschieben musste. Definitiv etwas verfrüht, auch wenn schon wieder seit mindestens drei oder vier Wochen die Spekulatius in den Supermarktregalen lagen. De facto war dieser 25. Oktober lau, nass, ungemütlich, aber nicht kalt. Also waren die Handschuhe heute komplett übertrieben, aber wen interessierte das? Ich würde gleich zu Hause googeln, wo es die Dinger gab.
*
Da ich klar geäußert hatte, nicht schwanger zu sein, war ich von meinem Chef für eine wichtige Mission einberufen worden. Und die – wann auch immer er sich das ausgedacht hatte – sollte gleich am nächsten Freitag umgesetzt werden. Seiner Kreativität und der Vorfreude auf die Adventszeit sei Dank. Allerdings ließ mich die Mission im ersten Moment schockgefrieren.
Ich sollte nicht nur hörbar, sondern auch sichtbar das Aushängeschild des Senders sein, so seine knappe Erklärung. Keine Ahnung, welche Werbeagentur er mit dieser schönen Aufgabe betraut hatte, aber nachdem ich erfahren hatte, was ich tun sollte, wäre ich doch fast lieber schwanger gewesen.
Ich durfte mir ein blinkendes Rentiergeweih auf den Kopf setzen, in ein knappes rotes Minikleid mit weitem Ausschnitt schlüpfen und mich in roten Lackstiefeln in einen Haufen Kunstschnee stellen. Ein Traum. Als ich mich selbst im Spiegel betrachtete, fragte ich mich, ob ich auf der Reeperbahn arbeitete oder doch in der Morningshow eines Radiosenders. Ich war mir nicht mehr sicher. So musste sich die Katzenberger fühlen.
Nach drei Stunden Fotoshooting war ich jedenfalls reif zum Abschuss. Dem Himmel sei Dank, dass es bei mir nicht zum Topmodel gereicht hatte und dass Freitag war.
Mein Handy klingelte, als ich gerade wieder zu Charly Schönberg ohne Geweih zurückmutierte. Es war Micha.
»Na, was machst du?«
»Ich versuche gerade, den letzten Schnee aus meinen Haaren zu bekommen.«
»Schnee?«
»Ja, Kunstschnee. Leider sehr anhänglich das Zeug, vor allem wenn man Locken hat. Und du?«
»Ich sitze im Auto und wollte dich abholen.«
»Hast du denn schon Schluss?«
»Ja, heute war nichts los. Und da hab ich mir gedacht, ich überrasche mal meine Freundin.«
Und das tat er. Denn er saß nicht allein im Auto. Auf der Rückbank stand einer meiner kleinen Koffer, und im Kofferraum lag ein weiterer von Michael. Das sah nicht nach dem insgeheim immer noch befürchteten Auszug aus.
»Was hast du denn vor?«, fragte ich ihn erstaunt, nachdem ich eingestiegen war.
» Wir haben etwas vor. Wir fahren nach Kopenhagen.«
»Nach Kopenhagen? Jetzt?«
»Ja, jetzt«, sagte er ganz selbstverständlich.
»Und unsere schwangere Mitbewohnerin?«
»Die liegt bei Hanne auf dem Sofa und wird von einer Horde Kinder mit Lakritzstangen gefüttert«, sagte er lachend.
Fünf Stunden später waren wir in der Indre By, der Innenstadt.
Keine Ahnung, wie lange oder wann Micha das alles geplant hatte. Oder hatte seine Mutter ihm den Tipp gegeben? Jedenfalls hatte er wirklich an alles gedacht. Sogar die neuen Folgen der »Drei Fragezeichen« lagen im Koffer, auch wenn wir nicht dazu kamen, sie zu hören.
*
Nach einer kurzen Nacht und einem langen Frühstück bummelten wir durch diese wunderschöne Stadt. Mir drängte sich sofort die Frage auf, warum es fast vier Jahrzehnte gedauert hatte, bis ich hierhergefahren war. Artig bewunderte und bestaunte ich alles kulturgeschichtlich und historisch Bedeutsame und Neue – trotz des Dauerregens, dem Einzigen, was uns nicht neu war.
Wir legten eine Pause im Café Victor ein, danach hatte ich Energie für die wirklich wichtigen Dinge im Leben einer Frau: Ich zog Micha unauffällig Richtung Fußgängerzone.
»Nimm mir meine EC-Karte weg, und die Kreditkarte auch. Bitte! Jetzt, sofort!«, stöhnte ich vor einem der vielen schönen Geschäfte und überlegte angestrengt, wann Größe 36 zuletzt gepasst hatte und ob das Kleid auch in L so wirkte?
»Geh doch mal rein, und probier was an«, forderte Micha mich auf, was nur daran liegen konnte, dass er kurzsichtig war oder das Preisschild nicht gesehen hatte. Ich zog ihn weiter.
In dem Geschäft daneben gab es zwar auch nichts in meiner Größe, aber ich ging trotzdem rein, denn ich hatte das Gefühl durch eine Zeitmaschine in die 70er-Jahre versetzt worden zu sein: Kindermode, Babysachen, Spielzeug, sogar Tapete wie damals. Ich konnte es nicht fassen.
Micha wartete
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