Kein Kind ist auch (k)eine Lösung
nehmen, die Trauerphase offiziell für beendet zu erklären und mich nach einem Kerl umzusehen. Jawohl. Achtzehn Monate reichten wirklich, um einem Mann nachzutrauern. Schade um die schöne Zeit …
Nachdem ich damit fertig war, mich über die vergeudete Zeit zu ärgern, verbrachte ich den Rest der Nacht damit, über einen optimalen Kandidaten für meine ganz persönliche Herzblattaktion nachzudenken. Für Schlaf blieb da kaum noch Zeit.
*
Der Wecker klingelte am nächsten Morgen leider trotzdem. Dabei hätte ich schwören können, dass ich erst ein paar Minuten geschlafen hatte. So fühlte ich mich zumindest. Ich rollte mich herum, bis ich mich im Vierfüßlerstand neben dem Bett befand. Doch kurz bevor ich in dieser Stellung wieder einschlafen und zur Seite kippen konnte, schaffte ich es wie durch Geisterhand in den Zweifüßlerstand.
Es war einer dieser Tage, an denen ich mir selbst dankbar war für meine Berufswahl. Ein Glück, dass ich beim Radio moderierte und nicht beim Fernsehen, sonst wäre dies vermutlich mein letzter Arbeitstag gewesen. Keine Maskenbildnerin der Welt hätte die letzte Nacht wegschminken können.
Auch wenn man es mir nicht ansah, war etwas mit mir geschehen. Ich spürte etwas, das man mit Frühlingsgefühlen vergleichen konnte, wenn auch etwas verspätet. Mit Aufbruchstimmung. Mit einem Energieschub, von dem man gar nicht wusste, wo er plötzlich herkam. Ich konnte gar nicht mehr sagen, ob es die Sonne war, die neues Leben in mir weckte, oder mein Vorsatz, demnächst meinen Mann zu finden.
Hatte Marc mich »wachgeküsst«? Vielleicht hatte mich ja die Begegnung mit ihm aus dem Tiefschlaf gerissen. Ich wusste nicht, was der ausschlaggebende Punkt war. Es war ja letztendlich auch egal. Jedenfalls fühlte ich mich bereit für einen Neustart. Jetzt sofort.
Sobald ich an diesem denkwürdigen Sonntag von der Arbeit heimkam, riss ich meine Kleiderschränke und Schubladen auf, holte alles raus, was ich mindestens vier Monate nicht getragen hatte, und stopfte es in blaue Säcke. Dann nahm ich mir Kartons aus dem Keller und warf jedes Buch hinein, das ich nie geschenkt bekommen wollte, und als ich in meiner Wohnung nichts mehr fand, von dem ich mich trennen wollte, machte ich auf dem Dachboden weiter.
Als ich fertig war, hatte ich das Gefühl, eine Fastenkur gemacht zu haben. Entschlackt, entgiftet. Gefühlt zehn Kilo leichter. Gefühlt.
Und ich hatte Platz!
Wer weiß, wofür …
Ich stellte mich auf den Balkon und trank eine Bionade. Da sah ich es. Alles blühte: die japanischen Kirschen im Innenhof, die Narzissen gegenüber, die Stiefmütterchen auf dem Balkon neben mir, der Apfelbaum zwischen den Häuserblocks rechts.
Wow! Warum war mir das nicht schon früher aufgefallen? Oder war das alles eben erst passiert, als ich auf dem Klo war?
Ich bestaunte alles eine Weile, dann packte mich die Sehnsucht, etwas zu bewegen, und wenn es nur die Kisten und Kartons in meiner Wohnung waren.
Frühling! Aufbruch! Neues Leben! Ich komme!
Symbolisch stieß ich zur Besiegelung der neuen Pläne mit mir selbst an.
*
Ich beschloss, am nächsten Wochenende auf den Flohmarkt zu gehen. Eine Alternative dazu gab es beim Anblick der acht blauen Säcke und drei Kartons im Hausflur kaum.
Ilka war nicht begeistert, als ich sie fragte, ob sie mitmachen würde, schließlich dürfe sie ja auch nichts mehr heben, wie sie entschuldigend erklärte.
Immerhin lieh sie mir nicht nur ihr Auto für den Transport, sondern versprach auch, mit einer Kaffeekanne am Schlachthof vorbeizuschauen, wo ich mir einen Stand reserviert hatte. Mit entkoffeiniertem Getreidekaffee, vermutete ich, aber auch das war egal.
Der Platz, den ich mir ausgesucht hatte, lag direkt am Eingang, dort wo die Fluktuation am größten war. Er war zwar teurer als eine Stellfläche in irgendwelchen Parkgaragen, in denen es garantiert nicht regnete, dafür bekam man hier aber eine andere Garantie: Man wurde alles los. Denn auf diesem Flohmarkt schlenderten sie alle zwischen den Tapeziertischen auf und ab. Da waren die Nervbacken, die schon nach Preisen für ganze – geschlossene – Kisten fragten, wenn diese noch im Auto auf der Rückbank standen, weil man gerade – um 5:10 Uhr – dabei war, den kaputten Tapeziertisch irgendwie doch noch so aufzubauen, dass er den Tag über halten würde. Außerdem gab es die verschleierten Frauen, die auf der Suche waren nach allem, was sie noch tragen konnten, und natürlich coole Kiezbewohner, die zwar
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