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Kein Kind ist auch (k)eine Lösung

Kein Kind ist auch (k)eine Lösung

Titel: Kein Kind ist auch (k)eine Lösung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T Wolf
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hier im Geburtshaus bekommen wollte, wo der Mann zu spät kam und der Arzt dann …«
    »Ach, die Petra! Aber wer war noch mal Olga?«
    »Olga ist die mit den Zwillingen, die mit der künstlichen Befruchtung. Wo der Mann keine guten Spermien hat, weil er mal beim Fußball …«
    »Ach, das ist Olga. Ah, ja.«
    Da alle neuen Mütter und Väter automatisch mit den neuen Umständen auch so viele neue Freunde hatten, konnte ich mir all die Namen nicht merken. Am besten nickte man immer mit dem Kopf, als wüsste man, von wem die Rede war, und fragte nicht nach.
    Auch die Gesprächsthemen änderten sich. Es ging nicht mehr um Männer, um Schuhe oder um Klamotten. Es ging um den Schlafentzug, die ersten Zähnchen, Nächte in der Notaufnahme, weil das Kind einen Radiergummi verschluckt hatte. Der kam übrigens wieder raus, wollte dann aber nicht mehr radieren. Selbst der Versuch, das Gespräch in eine andere Richtung zu lenken, war in der Regel zum Scheitern verurteilt. Auf die Frage »Wie geht es dir?« erhielt man eine minutenlange Auskunft darüber, wie es dem Kleinen gerade ging, wie lange er am Stück nachts schlief und wie der Verdauungstrakt funktionierte. Oder eben nicht.
    Mit Sicherheit gab es Ausnahmen, ich kannte nur keine.
    Im Elbpark angekommen betrachtete ich die Scharen von Eltern mit ihren Kindern. Vielleicht sollte ich mich einfach mal mit einer Flasche Zwergensaft, ein paar Vollkornkeksen und einer Eltern -Zeitschrift auf eine der Bänke zu den anderen setzen. Womöglich würde ich tatsächlich Leute treffen, die schon in der Phase waren, wo sie sich an die Vorzüge des Ohne-Kind-abends-unterwegs-Seins erinnerten und einen Babysitter organisierten, ohne den Schlechtes-Gewissen-Tod zu sterben. Am besten Eltern mit Au-pair! Die waren noch flexibler.
    Hier war es ja noch frustrierender als alleine im Café. Ich beschloss, mich nicht auf eine Bank zu setzen, sondern nach Hause zu gehen.
    Kaum betrat ich die Wohnung, da klingelte mein Handy. Mensch, es passierte ja doch noch etwas, wie wunderbar.
    »Vivien« stand auf dem Display. Ich drückte auf den kleinen grünen Hörer und überlegte, wann wir das letzte Mal telefoniert oder uns gesehen hatten … Früher war das fast jeden Tag der Fall gewesen. Ich freute mich riesig, dass sie anrief.
    »Hey, Vivien! Das ist ja eine Überraschung! Wie geht’s?«
    Das Geröchel war eindeutig nicht von ihr. Das wurde mir klar, als ich ihre Stimme im Hintergrund hörte. »Na, mein kleiner Schnuller-Hase. Spielst du wieder mit dem Phoni rum? Das sollst du doch nicht, du kleiner Pupsi. Sonst ist das Phoni nachher wieder putti-putti!«
    Vivien hatte anscheinend ihre Tastensperre nicht aktiviert. Ich gab ihr noch eine Chance und schrie laut in den Hörer: »Hallo! Hörst du mich?«
    Sie hörte mich nicht. Stattdessen hörte ich, wie sie auflegte.
    Ich wollte nicht mehr, wollte keine Schnuller-Hasis mehr, kein Gestöhne, kein Geschrei, keine Bobbycars. Ich wollte keine schwangere Freundinnen mehr, die sich im Café alle fünf Minuten umsetzen mussten, weil es irgendwo nach Rauch stank, die ich später nur noch von hinten sah, weil sie ihrem Kind hinterherrannten, die sich nicht mehr meldeten und die einem ganz direkt sagten, dass man störte, wenn man sich bei ihnen meldete.
    Irgendetwas lief schief in meinem Leben. Es gab nur zwei Möglichkeiten: Entweder war ich nicht normal, oder all die anderen waren es nicht.
    Ich setzte mich aufs Sofa und schloss die Augen. Ich sah eine Frau Mitte dreißig, die vor ein paar Jahren einen großen Freundeskreis hatte. Jede freie Speicherkapazität des Handykalenders hatte sie damals genutzt. Nun wusste sie gar nicht mehr, welche Funktion sie in ihrem Handykalender anwählen musste, um einen Termin einzutragen. Ihre Freunde waren noch da, aber sie hatten Entdeckungen gemacht. Sie hatten entdeckt, dass es nicht nur Spaß machte, Sex zu haben, um des Sexes willen, sondern sie hatten nun auch Sex des eigentlichen Zwecks wegen: ihrer Fortpflanzung. Sie waren mit der Aufzucht des Nachwuchses beschäftigt, fingen an, ein Nest zu bauen, am besten mit Garten, im Grünen, zogen weg. Und weil irgendetwas daran schön war, was diese Frau, die hier auf dem Bett lag, noch nicht erkannt hatte, machten sie das Spielchen noch einmal. Und manchmal noch einmal.
    Es gab nur zwei Möglichkeiten: Sie konnte mitspielen oder am Spielfeldrand stehen bleiben.
    Allein.
    Ich merkte, wie mir die Tränen kamen. Jetzt reichte es! Ich sprang mit einem Satz hoch. Es musste

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