Kein Kind ist auch (k)eine Lösung
joggen gegangen. Es sei denn, der Bus fuhr gerade los. Ohne mich.
»Dann lasst uns doch mal zusammen laufen. Wie wär’s?«
»Total gern. Es ist nur im Moment schlecht, weil ich diese Woche schon zum Laufen verabredet bin. Aber vielleicht nächste Woche? Oder besser übernächste?«
Ole war sofort einverstanden. Ich nicht. Warum konnte man nicht wie jeder normale Mensch einen Wein oder ein Bier trinken gehen? Warum musste man um einen zu groß geratenen Teich laufen, ächzen, schwitzen und unangenehm riechen? Und wie bitte schön sollte ich dabei mit ihm flirten? Er wollte mich anscheinend kennenlernen. Bitte. Aber das musste doch nicht zwingend im Laufen sein. Im Sitzen ginge das doch auch. Fürs Erste.
Im Newsroom angekommen gab ich noch vor der ersten Konferenz, die zwei Minuten später anfangen sollte, bei Google »Kondition Joggen Hamburg« ein.
Es gab 1500 Einträge. Ich entschied mich für Robin. Robin war Personal Trainer. Der Auftrag war klar: »Sie müssen mich so schnell wie möglich so fit machen, dass ich um die Alster laufen und mich entspannt unterhalten kann, und dabei auch noch gut aussehe.«
Nachdem er mir vorgerechnet hatte, was es kosten würde, dieses Ziel zu erreichen – nicht nur finanziell, sondern auch zeitlich –, war mir klar, dass ich es ohne Robin schaffen musste. Egal wie. Ich zog in Erwägung, ehrlich zu Ole zu sein und ihm zu sagen, dass ich noch nie gelaufen war, verwarf den Gedanken aber sofort wieder.
*
»Auf welchem Untergrund laufen Sie?«, fragte mich am selben Abend ein übermotivierter Verkäufer.
»Welcher Untergrund?«
»Ja, der Boden. Auf was für einem Boden laufen Sie, Lady?«
»Ja. Also. Ich laufe auf … Ist das denn so wichtig? Ich will doch keine Profischuhe. Mir reichen einfache Turnschuhe. Hauptsache, sie passen.«
»So einfach ist das leider nicht, Lady. Es gibt Schuhe für Asphalt, für Waldläufe, für die …«
»Alster. Ich laufe an der Alster. Und zwar genau in zwei Wochen, also sagen Sie mir jetzt bitte schnell, welche Schuhe die richtigen sind, denn ich muss noch üben.«
»Also laufen Sie zum ersten Mal?«
»Ja. Zum ersten und vermutlich letzten Mal, weil im Anschluss meine Seebestattung auf der Alster stattfinden wird.«
»Also, Lady. Bevor Sie 7,5 Kilometer laufen, sollten Sie erst mal langsam …«
»Das ›Lady‹ können Sie weglassen. Ich brauche Schuhe für die Alster. Größe 38. Das kann doch nicht so schwierig sein, oder? Waren Sie da schon mal laufen?«
Er lächelte mich an, als würde ich gerade eingeschult werden und bekäme meinen Ranzen nicht allein auf den Rücken.
»Ich laufe da jeden Abend.«
So genau wollte ich es gar nicht wissen.
»Na gut. Dann holen Sie mir bitte Schuhe, mit denen ich um die Alster laufen kann. Sie können auch gern gut aussehen.«
Damit ich sie dann später auch mal zum Shoppen anziehen könnte …
Ich hätte es wissen müssen. Es wurde nicht einfacher. Es wurde immer schlimmer. Es gab keine Laufsachen, die aus mir ein Busenwunder zauberten, meinen etwas pummeligen Po retuschierten und sich eventuell später auch zu anderen Zwecken umfunktionieren ließen. Ich hasste diesen Sport schon, bevor ich den ersten Schritt getan hatte.
Ich streckte dem Verkäufer meine Kreditkarte entgegen und fing an zu schwitzen, als er mir den Bon und meine Karte zurückgab. Dreihundertachtzig Euro.
Das kommt davon, wenn man nicht ehrlich ist, Charly, dachte ich. Das war die Strafe. Die Einzige, die mit Ole um die Alster laufen würde, war Waltraud. Und der passten meine Sachen nicht. Anrufen, absagen. Das konnte doch nicht so schwer sein. Stattdessen schleppte ich meine drei Einkaufstüten in die U-Bahn und fuhr nach Hause.
Kaum hatte ich die Bahn verlassen, wurde mir durch dreiundfünfzig Buchstaben mitgeteilt, dass nicht nur mein Handy wieder Empfang hatte.
Hei, Charly, ruf mich mal an. Ich hab eine wunderschöne Neuigkeit! B.
Birgit. Welche wunderschöne Neuigkeit das sein würde, war klar. Ich rief nicht an.
Während ich mit Waltraud und einem Glas Rhabarbersaftschorle auf dem Sofa saß, betrachtete ich meine Laufausrüstung, die ich auf einem Kleiderbügel an die Wohnzimmertür gehängt hatte. Das Telefon schrillte. Ich hatte keine Lust ranzugehen. Nach achtmal Klingeln übernahm mein Anrufbeantworter diese Aufgabe.
Birgit. »Hallo? Lebst du noch? Hast du meine SMS nicht bekommen? Und wer ist bitte schön Waltraud? Meld dich mal!«
Ich quälte mich vom Sofa hoch, wählte Birgits Nummer und wurde
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