Kein Kind ist auch (k)eine Lösung
schaute aus dem Fenster und sah Udo telefonieren. Vermutlich war es Juliane, die so tat, als wäre sie sauer, weil er so lange wegblieb.
Der Alkohol rief plötzlich in meinem Kopf das Verlangen nach Ehrlichkeit auf den Plan. Warum war man nicht einfach ehrlich zueinander? Warum ging Marc mit mir ins Bett? Warum picknickte Ole mit mir an der Alster und fuhr mich nach Hause? Und warum fragte Juliane Udo nicht einfach, was mit ihm los war? Mein Gott, war das denn so schwer?
Das fragte hier gerade die Richtige. Fiel mir in dem Moment auf …
»Na, hier ist ja wohl auch nichts mehr los. Fahren wir noch in die Stadt?« Udo lehnte neben mir am Tresen. »Oder möchtest du lieber dableiben?«
Er grinste mich an, und ich musste mich beherrschen, den letzten Schluck meines fruchtigen Cocktails, den ich gerade zu mir genommen hatte, nicht wieder von mir zu geben. Eine große Herausforderung.
Unten auf der Straße mussten wir nicht lange auf ein Taxi warten. Wir stiegen beide hinten ein.
»Wohin soll es denn gehen, die Herrschaften?«
»In die Lange Reihe bitte«, sagte Udo, leicht vorgebeugt, dem Fahrer.
»Ich … ich würde gern in die Arnoldstraße«, warf ich ein.
Udo schaute mich an. »Kein Drink mehr?«
»Doch. In der Arnoldstraße«, erwiderte ich.
Läuft doch super, dachte ich bei mir und versuchte, mich zumindest mit diesem kleinen Erfolg über manch andere Erkenntnisse dieses Abends hinwegzutrösten. Doch gegen das plötzlich aufkommende schlechte Gewissen kam ich nicht an. Ich war wirklich kein guter Mensch. Zumindest heute Abend nicht.
Und es gab noch ein Problem: Wie sollte ich Birgit unbemerkt eine SMS schicken, dass wir auf dem Weg waren? Ich hätte es tun müssen, als wir uns auf die Suche nach einem Taxi gemacht hatten. Oder ich hätte noch schnell aufs Klo gehen und dort eine Nachricht an Birgit tippen müssen, aber auf diese Idee kam ich leider zu spät. Es half nichts.
Doch auch wenn sonst bei mir nicht mehr viel funktionierte, eines klappte immerhin noch: die Telepathie zwischen meiner besten Freundin und mir. Mein Handy piepte.
»Sorry.«
Ich griff umständlich in meine Tasche. Eine SMS von Birgit.
Hast du mich vergessen? Ich würde gern auch irgendwann mal schlafen gehen. Mein Auto sieht nur so aus, als wäre es bequem. Meld dich mal.
Sind auf dem Weg. Gerade Höhe Hirschpark , tippte ich, ohne genau hinzusehen. Übung macht den Meister.
Ich legte das Telefon wieder weg. Udo schaute mich an.
»Wirst du vermisst?«
»Nicht wirklich«, war meine Antwort, ganz knapp, um ihn davon abzuhalten, weitere Fragen zu stellen.
Die Fahrt von der Elbchaussee bis zu mir kam mir vor wie eine Weltreise. Auf alle Fälle viel zu lang. Als wir von der Bernadottestraße schräg links abbogen und ich den Fahrer bat zu halten, hatte ich ein derart schlechtes Gewissen, dass mir übel wurde. Während Udo zahlte und von mir nichts annehmen wollte, schaute ich mich unauffällig nach Birgit und ihrem Fotoapparat oder ihrem neuen Mini Cooper um. Nichts zu sehen. Meinetwegen musste sie jetzt auch nicht erscheinen …
Wir stiegen aus und gingen zwischen den parkenden Autos zu meinem Hauseingang. Als ich gerade nach dem Schlüssel suchte, stand Birgit plötzlich neben uns.
»Was machst du denn hier?«
Sie starrte Udo an, als würde er normalerweise am Nordpol leben und wäre ohne Ankündigung nach Deutschland eingereist.
Ich kam ihm zuvor. »Was Udo hier macht? Das müsstest du ja wohl am besten wissen.«
Jetzt starrte Birgit mich an. »Das ist doch nicht Udo!«
»Natürlich bin ich nicht Udo«, mischte Udo sich ein. »Kann mir eine von euch beiden mal kurz sagen, was hier los ist?«
»Du bist nicht Udo?«
Ich schaute erst ihn, dann Birgit an, die mit ihrem Finger auf ihn deutete, und sagte: »Das ist Ulrich, unser neuer Nachbar, von dem ich dir sicher schon mal erzählt habe. Er arbeitet in der Presseabteilung bei …«
»Ulrich?!«
»Ja«, sagte Ulrich und schoss schnell die nächste Frage hinterher, um dem Moment etwas von seiner Peinlichkeit zu nehmen. »Und wer ist bitte schön dieser andere Typ?«
» Udo! «, schoss es Birgit und mir gleichzeitig aus dem Mund.
»Mist!« Sie sah mich an. »Hab ich dir etwa das falsche Foto gemailt? Das gibt es doch nicht!«
Birgit fing schallend an zu lachen, im Gegensatz zu uns.
Ihre Tasche klingelte. Sie wühlte kurz, kramte den Fotoapparat raus und drückte ihn mir in die Hand, dann noch Taschentücher, einen Ovulationstest, Tampons. Ich sah Udo-Ulrich an,
Weitere Kostenlose Bücher