Kein Kind ist auch (k)eine Lösung
um eine Bernsteinkette, die ihrem Kind beim Zahnen helfen sollte. Das war natürlich etwas ganz anderes.
Ich überlegte angestrengt, wie sie ihren Mann kennengelernt hatte und kam nicht mehr drauf. Oh Gott, die mussten schon so lange zusammen sein …
»Jedenfalls macht es Spaß, sich mit ihm zu unterhalten. Es wird nie langweilig. Im Grunde genommen könnte ich den ganzen Tag mit ihm telefonieren. Wären da nicht noch ein paar andere Dinge wie zum Beispiel mein Job. Egal. Er ist jedenfalls … ich weiß auch nicht … nicht so verkopft. Vielleicht ist es das. Er macht auch mal etwas, was man von einem knapp Vierzigjährigen nicht erwartet.«
Herrjemine. Ich klang ja wie Klementine aus der Waschmittelwerbung.
»Und was?«
Ich überlegte. »Er ist für mich auf seinen Boden gegangen und hat aus irgendwelchen alten Kartons ›Die Brüder Löwenherz‹ gekramt und sie mir abends am Telefon vorgelesen, weil ich erzählt habe, dass ich Astrid Lindgren als Kind geliebt habe.«
»Die Brüder Löwenherz?«
»Ja.«
»Okay, du bist verliebt.«
*
Zwei Wochen später saß ich mit Michael im überfüllten Café Engel an der Elbe, und er zeigte mir den blauen Fleck an seinem Schienbein, der inzwischen leicht ins Braun-Violette gegangen war. Mein Blick fiel jedoch trotz der unglaublichen Größe des Fleckes auf etwas anderes: seine durchtrainierten, harten Waden.
Ich benahm mich, als wäre es mein erstes Treffen mit einem Vertreter des anderen Geschlechts. Drei Stunden war ich durch die Stadt geirrt, um etwas zu finden, was aus mir eine attraktive Frau machte, ohne dass es auffiel.
Irgendetwas musste es doch geben, dachte ich, und ging schließlich ohne eine einzige Tüte wieder nach Hause. Entscheidungen zu treffen gehörte ja noch nie zu meinen Lieblingsbeschäftigungen. Wie sollte man außerdem in einem Daunenmantel sexy aussehen? Man wirkte doch immer eher wie eine Leberwurst auf zwei Beinen. Draußen war es schließlich kälter als am Nordpol.
An dem kleinen Stückchen Strand, das man von unserm Tisch aus sehen konnte, lagen Eisschollen. Mit jedem Containerschiff, das an uns vorbeifuhr, wurden es mehr.
»Lass mich raten: Du gehst regelmäßig joggen«, fragte ich, als er sein Hosenbein hochgezogen hatte, um mir zu zeigen, dass man dem Schienbein meinen Tritt kaum noch ansah. Was maßlos untertrieben war.
»Ja, aber nicht so oft. Meistens schaffe ich es nur so zwei- bis dreimal die Woche«, antwortete er gelassen und zog die Jeans wieder über sein Bein.
»Nur.«
»Ja, wieso?«
»Ich war bisher in meinem ganzen Leben ungefähr zwei- bis dreimal joggen. Und aus dem letzten Mal wurde ein spontanes Picknick.«
»Klingt auch gut. Wie sieht’s aus? Wollen wir was essen gehen?«
Im Eisenstein, das sich in einer alten Fabrikhalle befand, waren hinter dem großen Schornstein in der Mitte des Raums noch genau zwei Plätze frei. Vor allem war es hier muckelig warm.
Mit einem Caesar Salad und einer ordentlichen Pizza im Bauch landeten wir schließlich auf meinem Sofa. Ich holte Wein- und Wassergläser aus der Küche, und als ich zurückkam, lag Waltrauds Schnauze auf Michas Schoß und genoss eine Krauleinheit.
Meine liebe Waltraud, so war das, ehrlich gesagt, nicht geplant. Der Gute soll mich kraulen, nicht dich, dachte ich, als ich die beiden sah. Na warte, du bekommst gleich einen schönen harten Knochen, mit dem du die nächsten Stunden beschäftigt sein wirst.
*
»Und wie war das Wochenende?« Ilka rutschte unruhig auf dem Sofa hin und her, als müsste sie mal.
Genau da hatte er auch gesessen – Micha. Bis halb fünf hatten wir uns unterhalten.
Sie trank ihre Apfelschorle und sah dabei aus, als würden ihr die Augäpfel gleich aus dem Kopf kullern. Vermutlich kullerten vorher aber ihre Brüste irgendwo raus, denn die sahen inzwischen so aus, als hätte sie ihre gesamten Ersparnisse in sie investiert.
Dann stellte sie das Glas ab. »Wie? Ihr habt nicht …?«, platzte es viel zu laut aus ihr heraus.
»Psst!«
Ich zeigte auf die schlafende Karlotta, die auf einer Decke zwischen uns schlummerte. Wessen Kind war das hier eigentlich?
»Nein. Haben wir nicht«, antwortete ich beinahe flüsternd.
»Hast du dich bei Hanne angesteckt?«
»Oh Gott, pssst!« Ich legte den Zeigefinger an den Mund und drehte meinen Kopf in Richtung Etagentür. In Altbauwohnungen gab es keine Geheimnisse, dafür war es zu hellhörig.
»Wenn sie wüsste, dass ich dir das erzählt habe …«
»Also, ihr habt euch nur unterhalten?
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