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Kein Kind ist auch (k)eine Lösung

Kein Kind ist auch (k)eine Lösung

Titel: Kein Kind ist auch (k)eine Lösung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T Wolf
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langweilig fand und nur eingesteckt hatte, falls meine Mutter mich später fragen würde, wie ich es fand. Sie hatte es mir bei unserem letzten Treffen geschenkt. Vor einem Jahr.
    Es hieß ja, man wüsste nach drei Sekunden, ob man eine Person attraktiv fand oder nicht. In diesem Fall reichten die drei Sekunden nicht aus. Er hatte etwas. Auf alle Fälle. Aber er war auch nicht der typische CT (Charly Typ). Es war nicht so, dass ich mir sofort überlegte, ob mein Haar richtig saß – was bei meinen Locken zu neunundneunzig Prozent sowieso nicht der Fall war, da sie ein Eigenleben besaßen – oder wie ich meine Beine übereinanderschlug.
    Erika Berger hatte einmal in einer Talkshow gesagt, sie würde immer etwas Luft zwischen den Beinen lassen, wenn sie sie übereinanderschlug. Das sähe eleganter aus, und dazu hätte ihr schon ihre Mutter geraten – damals.
    Ich versuchte es. Nicht weil ich ihm gefallen wollte, sondern einfach nur, weil es mir einfiel und mir langweilig war. Der Versuch endete nach dreißig Sekunden schmerzhaft. Ich bekam einen Krampf im rechten Oberschenkel.
    Reflexartig streckte ich das Bein aus – das sollte man ja so machen – und haute ihm den Absatz meines Schuhs mit voller Wucht gegen das Schienbein. Das sollte man nicht so machen. Zumindest nicht beim ersten Treffen.
    Jetzt stöhnten wir beide, wobei er sich aber schneller wieder erholte als ich.
    »Alles okay?«, fragte er, während er sich immer wieder mit der Hand übers Schienbein strich.
    »Oh Gott, das tut mir so leid. Tut es sehr weh?«, fragte ich zurück, während ich meinen Oberschenkel massierte.
    »Nein, nein, alles gut. Und bei Ihnen? Ein Krampf?«
    »Ja, das kann man wohl so sagen.«
    Gott sei Dank fragte er nicht nach, wie das im Sitzen passieren konnte.
    Nach ein paar Minuten hatten wir uns von dem Schreck erholt. Ich griff wieder nach meinem öden Buch und er nach seinem Laptop, den er aus irgendwelchen Gründen nicht auf den Tisch zwischen uns, sondern ganz lässig auf seine übereinandergekreuzten Beine gelegt hatte – ohne einen Krampf zu bekommen.
    Hin und wieder tippte er kurz etwas, dann überlegte er – was man an seinen Lippen erkannte, die er dann leich t spitzte, wie einen Kussmund, und schließlich erst nach links und dann nach rechts bewegte –, bevor er erneut seinen Zeigefinger über die Tastatur gleiten ließ. Vermutlich spielte er etwas.
    Seine Haare waren dunkelblond und gingen ihm bis zu den Ohren. Er strich sie immer wieder dahinter zurück, da ihm ständig einzelne Haarsträhnen in sein leicht nach vorne gebeugtes Gesicht fielen.
    »Spannend?«, fragte er mich nach einer halben Stunde Fahrt, in der ich nicht eine Seite meines Buches umgeblättert hatte.
    »Ja, total«, sagte ich und sah mir das Cover meines Buches an, als wüsste ich nicht, was ich überhaupt las. Sicher gab es Momente in meinem Leben, in denen ich einen intelligenteren Eindruck hinterlassen hatte.
    »Und worum geht es?«
    » Um … ja, also … um …« Ich sah auf die Rückseite. »Um eine Frau, die auf der Suche nach dem richtigen Mann ist – glaube ich.«
    Ich musste lachen. Oh Gott, wie peinlich. Was sollte er denn jetzt von mir denken?
    »Ah, und was glauben Sie? Trifft sie ihn noch, oder wird sie als alte Jungfer allein im Altenheim sitzen und sich zu Tode langweilen?«
    Im Altenheim sitzen und sich zu Tode langweilen. Das hatte ich doch schon einmal gehört. Vielleicht hätte ich Birgit wenigstens zu Weihnachten eine Karte schicken sollen. Zu spät.
    »Ich bin mir nicht sicher, aber ich glaube, das Buch endet, bevor sie ins Altenheim kommt. Und so wie ich meine Mutter kenne, gibt es auch noch ›die Moral von der Geschicht‹.«
    »Ah, Sie haben sich das gute Stück also nicht selbst gekauft. Da bin ich ja beruhigt.«
    Sein Lächeln war besonders. So unaufdringlich. Eine Mischung aus smart, sanft, wissend und irgendetwas anderem, auf das ich in diesem Moment nicht kam.
    Wir unterhielten uns bis Aarhus, und hätte er mich nicht im letzten Moment darauf aufmerksam gemacht, dass der Zug seit Minuten schon in meinem Zielbahnhof stand und vermutlich gleich weiterfahren würde, hätte das Gespräch nicht so ein rasantes Ende genommen. Ich gab ihm noch schnell meine Visitenkarte, ganz unromantisch, und stürzte mit meinem Koffer in der einen Hand und Waltraud an der Leine an der anderen aus dem Zug.
    Kaum stand ich auf dem Bahnsteig, schlossen sich die Türen hinter mir, der Zug rollte an, und irgendwo vor mir – noch nicht

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