Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kein Kind ist auch (k)eine Lösung

Kein Kind ist auch (k)eine Lösung

Titel: Kein Kind ist auch (k)eine Lösung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T Wolf
Vom Netzwerk:
pudelwohl zu fühlen. Wenn ich nicht aufpasste, endete das Ganze doch noch in einem Endreihenhaus am Stadtrand.
    Vincent, dem das Restaurant gehörte, kam zu mir. Wir kannten uns seit Jahren. Ich stand auf, er nahm mich – wie immer, wenn wir uns trafen – in den Arm, als wäre ich seine Mutter, die er dreißig Jahre nicht gesehen hatte. Wäre Vincent nicht jeden Tag hier, würde nicht jeden einzelnen Gast begrüßen, sich mit ihm unterhalten und ihm das Gefühl geben, er hätte heute extra für ihn das beste Essen Hamburgs kochen lassen, der Laden wäre einfach nicht der, der er ist, sondern einfach nur irgendein Restaurant.
    In diesem Moment entdeckte ich Micha, der darauf wartete, dass er über die Straße gehen konnte. So sah es zumindest aus. Er sah zu mir rüber und winkte mit der einen Hand. In der anderen hielt er etwas – Unterlagen, eine Zeitschrift, Blätter, keine Ahnung. Ein Auto hielt, er sah hoch, ging über das Kopfsteinpflaster. Irgendwie sah er genervt aus.
    Waltraud zerrte an der Leine. Sie hatte ihren Rudelführer entdeckt, der sich durch den schmalen Gang zwischen den Tischen hindurchdrängelte, vorbei an Kellnern und einem Kinderwagen am Nebentisch. Er beugte sich zu ihr runter, streichelte sie, kam dann zu mir und küsste mich flüchtig.
    »Alles gut?«, fragte ich.
    »Ja. Eigentlich schon.«
    »Und uneigentlich?«
    »Ach nichts, ich hab nur Hunger. Hast du schon bestellt?«
    »Nein, ich wollte auf dich warten.«
    Ich schob die Karte zu ihm rüber. »Die Trüffelnudeln sind super. Oder hier …«, ich blätterte die Seite um, »die gebratenen Jakobsmuscheln auf Kartoffelpüree – auch klasse.«
    Vincent kam wieder an den Tisch.
    Ich zeigte auf Micha. »Darf ich vorstellen: Micha, Vincent. Vincent, Micha. Waltraud.«
    Ich wollte witzig sein, war es aber anscheinend nicht. Micha gab ihm mit sichtlichem Desinteresse flüchtig die Hand, dann guckte er wieder in seine Karte. Der Hunger musste wirklich groß sein, so kurz angebunden kannte ich ihn gar nicht. Er bestellte ohne, hochzusehen. Keine Trüffelnudeln und keine Jakobsmuscheln, sondern Salat.
    »Ich dachte, du hättest so einen Hunger«, kommentierte ich, nachdem Vincent alles aufgeschrieben hatte und wieder verschwunden war.
    »Ich mag so spät nichts Schweres mehr essen.«
    Aha. Wegen der Bikinifigur, oder warum? Irgendwas stimmte nicht.
    Am Nebentisch änderte sich auch gerade die Stimmung. Der Kinderwagen fing an zu quaken. Ich sah kurz rüber.
    Die arme Frau, dachte ich. Jetzt werden die schönen Nudeln kalt.
    »Hast du Stress mit den neuen Kollegen?«
    »Nein.«
    Stille.
    »Was ist denn mit dir?«
    Vincent brachte das Wasser.
    Und da sah ich es. Diesen Blick, wie er ihn ansah. Er war eifersüchtig. Das war es.
    »Falls es dich interessiert, Vincent ist ein Freund, ein glücklich verheirateter Freund mit einer zauberhaften Frau.«
    »Und?«
    »Und ich dachte, ich sag dir das lieber, bevor du auf dumme Ideen kommst.«
    »Und diese Begrüßungszeremonie kriegt man hier zum Essen dazu?«
    »Ja, dreh dich mal um.«
    Zwei Tische hinter uns wurden zwei Damen begrüßt. Küsschen links, Küsschen rechts und noch mal gedrückt.
    »Das macht er mit allen Gästen, die er besser kennt. Du kriegst nächstes Mal bestimmt auch einen Kuss.« Ich zwinkerte ihm zu.
    »Na, dann.« Er sah an mir vorbei.
    »Bist du eifersüchtig?« Ich stupste ihn mit dem Fuß unterm Tisch an.
    »Bin ich nicht.«
    »Bist du doch.«
    »Bin ich nicht.«
    »Doch.«
    »Nein.«
    Ich lachte ihn an. Ein paar Sekunden schaffte er es noch ernst zu gucken, dann lachte er auch.
    »Vielleicht ein bisschen, so ein kleines bisschen?« Ich zeigte mit Zeigefinger und Daumen circa einen Zentimeter.
    »Höchstens.«
    »Hey, ist doch super. Dann weiß ich wenigstens, dass du wie ein Ritter um mich kämpfen würdest … falls mal wieder einer fragt, was ich essen will.«
    »Super« war mehr als gelogen. »Lästig« oder »unschön« traf es schon besser. Ich betrachtete ihn und überlegte, was ich davon halten sollte. War mein Gefühl also doch richtig gewesen, dass er eifersüchtig war, als er beim Renovieren die Striche am Spiegel entdeckt hatte. Eifersüchtig auf Striche! Das konnte man ja keinem erzählen.
    Doch nicht perfekt? Wie ärgerlich. Dabei hatte ich mich gerade heute Morgen noch gefreut, dass er sogar die Zahnpastatube, nachdem er sie benutzt hatte, wieder zudrehte und nicht wie … wie andere zweimal täglich offen liegen ließ, sodass immer alles herausquoll und festklebte,

Weitere Kostenlose Bücher