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Kein Kind ist auch (k)eine Lösung

Kein Kind ist auch (k)eine Lösung

Titel: Kein Kind ist auch (k)eine Lösung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T Wolf
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Hand löste sich von meinem Finger und rutschte auf meine Beine. Wie eine Puppe lag sie da. Friedlich. Und irgendwie faszinierend. So ein Minimensch. Alles dran.
    Wie du wohl mal aussiehst, wenn du groß bist? Hauptsache, die Bäckchen verschwinden, sonst wird das nix mit den Jungs. Ich sah auf ihre kleinen, prallen Beinchen, die unter dem geblümten Sack hervorlugten. Dellen, so weit das Auge reichte. Himmel. Ich wusste gar nicht, dass Babys schon Cellulite haben konnten. Jetzt verstand ich, warum es Mütter gab, die ständig zu Babymassagekursen rannten.
    Ich musste nicht hochschauen, um zu wissen, was Micha tat. Ich spürte seinen Blick und ahnte seine Gedanken.
    *
    Nach drei Stunden war mein Hintern vom Sitzen platt und mein Bauch voll. Am liebsten hätte ich gefragt, wo hier das Gästezimmer war. Ich war nicht nur müde, ich war erschlagen.
    Zum Glück sah Micha es mir an, oder es ging ihm ähnlich, und so brachen wir am frühen Abend auf. Die Abschiedszeremonie dauerte beinahe genauso lange wie der gesamte Besuch. Was allerdings nicht an der Vielzahl der Menschen lag, sondern an der Tatsache, dass drei wichtige Familienmitglieder fehlten: Hugo, Huberta und Waltraud.
    Erst fing ich an zu rufen, dann Michas Mutter an zu pfeifen, und schließlich riefen und pfiffen alle und rannten durcheinander. Aber von den drei Vierbeinern fehlte jede Spur.
    Hans schwor, nachdem seine Frau wetterte, er habe die Stelle im Zaun immer noch nicht geflickt, obwohl sie doch mehrmals darauf hingewiesen habe, es sei alles dicht. Die Hunde könnten nicht weit sein, sie müssten hier, im Haus oder eben im Garten sein.
    Er behielt recht. Ihr Schmatzen verriet sie. Die drei steckten in der Speisekammer, deren Tür anscheinend jemand offen stehen gelassen hatte, was sofort zu einer heftigen Diskussion führte. Dort hatten sie sich gemeinsam über Leberwürste und Schokocreme hergemacht, die ihnen bis unter die Augenränder klebten. Was bei den Möpsen keine Kunst war, da deren Mundwinkel ja geradezu in die Augenränder übergingen. Die Schleifen waren dreckig und verklebt, hingen schief und waren genauso reif für die Wanne wie der Rest der Hunde. Wer die verschweißten Packungen geöffnet hatte, war klar. Es gab ja schließlich nur einen Hund mit einem Kiefer, der tat, wozu der liebe Gott ihn geschaffen hatte. Waltraud.
    Ein paar Minuten später saß sie mit angelegten Ohren und schlechtem Gewissen auf der Rückbank unseres Wagens, nachdem ich ordentlich mit ihr geschimpft hatte, obwohl ich eigentlich lieber losgelacht hätte. Trotzdem war es mir etwas unangenehm. Da versuchte ich einen möglichst guten Eindruck zu machen bei meinem ersten Besuch, und mein Hund benahm sich wie ein obdachloser Straßenköter, der fünf Wochen nichts Essbares zwischen die Zähne bekommen hatte.
    »Und, war es nun so schlimm?«, fragte Micha auf dem Rückweg.
    »Nö.«
    *
    Als wollte irgendwer mit allen Mitteln verhindern, dass ich das Thema Vermehrung vergaß, stand ein paar Tage später Ilka mitten in der Nacht vor unserer Tür und klingelte Sturm. Wobei es hier eher um die Folgen der Vermehrung ging.
    Die für eine laue Sommernacht viel zu warm eingepackte Karlotta in dem einen Arm, die Windeltasche über der Schulter, die Handtasche wie ein Erstklässler um den Hals vor der Brust hängend, versuchte sie sich irgendwie noch schnell ein paar Tränen wegzuwischen, als ich öffnete.
    »Sag nichts!«, befahl sie in einem Bundeswehrton, der keine Fragen offenließ.
    Ich ging einen Schritt beiseite und zeigte ins Wohnzimmer. Schweigend.
    Ilka stapfte an mir vorbei ins Wohnzimmer, lief wütend und enttäuscht auf und ab, drückte mir schließlich Karlotta in den Arm, wodurch es sich leichter marschieren ließ, und erzählte, was ich schon vor Monaten geahnt hatte.
    »Wie feige ist das denn bitte? Einfach seine Sachen nehmen, einen Zettel hinlegen und verschwinden! Und dann noch dieser Satz: Du warst nicht da, als ich von der Arbeit kam, deshalb habe ich dir diesen Brief geschrieben. So ein Schwachsinn! Und überhaupt: Was für eine Arbeit denn?«
    Sie unterbrach ihren Monolog und kam auf mich zu. »Das ist doch kein Mehlsack. Komm mal her.« Sie nahm Karlotta und legte sie mir schräg in den Arm. »So!«
    Ich hätte schwören können, dass sie vor einer Minute in meinem Mehlsackgriff genauso dagelegen hatte, kein bisschen anders als jetzt.
    Ich setzte mich aufs Sofa und fühlte mich belagert: Ilka vor mir, Karlotta auf mir, Waltraud neben mir, bemüht, den Rest

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