Kein Kind ist auch (k)eine Lösung
Flachbildschirm aus angrinste, als hätte sie von Anfang an geahnt, dass das mit uns nix wird, gab ich nicht auf. Ich stellte mich breitbeinig hin, hielt das Flexi-Bar-wackel-dich-supertoll-schön-Teil senkrecht vor mich und versuchte, es in Schwung zu bringen. Das Einzige, was wackelte, war ich. Dafür aber konsequent von den Zehenspitzen über den Po bis zum Kinn.
Waltraud zog den Schwanz ein und verkrümelte sich. Anscheinend gefiel ihr mein Anblick nicht. Ich holte tief Luft, konzentrierte mich noch einmal, nahm alle Kraft, die ich noch hatte – immerhin versuchte ich es schon seit mindestens zehn Minuten –, und gab der Stange Schwung.
Und tatsächlich. Sie setzte sich in Bewegung, allerdings bekam meine Tiefenmuskulatur davon nicht viel mit, denn sie schoss in Richtung Fernseher. Ohne mich.
Es knallte, Glas zersplitterte, ich nahm schützend die Arme vors Gesicht und duckte mich. Puff. Ende. Aus.
Das einzig Gute war: Die blöde Kuh grinste nicht mehr. Das hatte sie jetzt davon. Selbst schuld.
*
»Du hast was ?«, fragte Micha ungläubig, als ich versuchte, ihm zu erklären, warum wir den Tatort am nächsten Abend leider nicht sehen konnten.
»Ich habe versucht, Sport zu treiben.«
»Warum tust du denn so was?«
»Weil ich sonst eines Tages mit einem Kran aus dieser Wohnung gehievt werden muss, weil ich leider nicht mehr durch die Tür passe. Das kostet viel Geld und macht den armen Männern von der Freiwilligen Feuerwehr auch keinen Spaß.«
»Wer hat dir denn gesagt, dass du etwas gegen deine Rundungen unternehmen musst?«
»Ich.«
»Und ich finde die gar nicht so schlecht, deine Rundungen«, sagte er und zog mich aufs Sofa.
Damit war das Thema Sport jedenfalls erst mal vom Tisch, und ich ergab mich dem Pärchendasein mit all seinen Vor- und Nachteilen.
*
Himmel, ging es mir gut. Viel zu gut. Nach wie vor!
Im Grunde genommen so gut, dass man sich hätte schämen müssen. Dafür gab es im Übrigen noch einen anderen triftigen Grund. Ich war wirklich exakt das geworden, was ich meinen Freundinnen seit Jahren vorwarf: eine treulose Tomate. Micha war mein neuer Freundeskreis. Und die ganze Wahrheit war: Ich war schlimmer als alle Muttis dieser Stadt zusammen.
Das wurde mir klar, als ich Ilkas SMS las. Es war eine freundliche Nachfrage, ob ich noch lebte, und wenn ja, dann würde sie mich gern mal wieder sehen – oder, um nicht gleich nach den Sternen zu greifen, zumindest mal sprechen. Sie hätte mich gerade durch Zufall beim Bäcker im Radio gehört und sich an mich erinnert.
Das war natürlich komplett übertrieben, typisch Ilka. Schließlich hatte ich sie ja gerade erst gesehen, vor … Wann war das noch?
Ich blätterte in meinem Filofax, und da stand es: Wir hatten uns genau vor eins, zwei, drei, vier … ich blätterte die Wochenseiten des Filofax rückwärts … vor ein paar … nein, meine Güte!
Es war sieben Wochen her, dass sie nachts mit Karlotta vor meiner Tür aufgetaucht war, nachdem Max sich vom Acker gemacht hatte. Unfassbar. Und ich hatte mich noch nicht einmal danach erkundigt, wie die Sache mit Max weitergegangen war.
Ich rief sie an und wollte mich umgehend mit ihr verabreden, aber das funktionierte nicht, denn Ilka war gerade dabei, ihre Sachen zu packen. Sie hatte vor, mit der Kleinen in eine Hütte in den Bergen zu fahren. In genau – sie sah anscheinend auf die Uhr – eineinhalb Stunden ging der Zug. UfA, nannte sich das. Urlaub für Alleinerziehende. Man lernte nie aus.
Lauter Frauen und Männer in ihrem Alter mit Kindern in keine Ahnung welchem Alter – auf einer Alm. Das wäre ja auch nicht so wichtig, meinte Ilka. Es ginge ja schließlich um die gute Bergluft, die Natur, die Tiere und die Gespräche, um den Erfahrungsaustausch mit den anderen.
Klar. Erfahrungsaustausch. Fragt sich nur, um welche Erfahrungen es da ging, dachte ich. Das klang doch irgendwie nach Singlebörse in den Bergen. Und das Ende August. Bei der Hitze! Da liefen dann sicher alle in knappen Hosen und Shirts rum und unterhielten sich über ihre Erfahrungen. Sicher. Und ich konnte übers Wasser gehen.
Ich wünschte viel Spaß, entschuldigte mich für meine Abtrünnigkeit und sagte ihr, ich würde mich freuen, wenn sie sich meldete, sobald sie Peter und den Zieglein Adiós gesagt habe.
Ein paar Tage später – ich war gerade allein in der Wohnung – hörte ich im Hausflur unten den Postboten. Er hatte so eine Reinschmeißtechnik, die jedem Schwerhörigen klarmachte: Jetzt ist die Post im
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