Kein Kinderspiel
Schluck Rum und sah einen einsamen Stern, der über den dünnen Wolken und dem Smog am Himmel schwebte.
»Als ich vor der Leiche des Jungen stand, da hat etwas Klick gemacht«, erklärte ich. »Mir war plötzlich egal, was mit mir passierte, mit meinem Leben, mit allem. Ich wollte einfach nur…« Ich streckte die Hände aus.
»Rache.«
Ich nickte.
»Und deshalb hast du dem Kerl eine in den Hinterkopf geblasen, obwohl er auf den Knien lag.«
Erneut nickte ich.
»Hey, Patrick, dazu sage ich nichts, Mann. Ich finde, daß wir manchmal das Richtige tun, aber vor Gericht kämen wir nicht damit durch. Vor dem prüfenden Blick der« - er deutete mit den Fingern Gänsefüßchen an - »Gesellschaft hätte es keinen Bestand.«
Wieder hörte ich das tuckernde Gewimmer, das Corwin Earle ausgestoßen hatte, sah ich das Wölkchen aus Blut, das aus seinem Nacken gespritzt war, hörte ich den dumpfen Aufprall seines Körpers auf dem Boden und die leere Patronenhülse über das Holz gleiten.
»In der Situation«, gab ich zu, »würde ich es wieder tun.«
»Aber hast du deshalb richtig gehandelt?« Remy Broussard kam zum Klettergerüst herüber und goß mir noch etwas Rum ein.
»Nein.«
»Aber falsch war es eigentlich auch nicht, oder?«
Ich sah zu ihm auf, grinste und schüttelte den Kopf-» Nein.«
Er lehnte sich neben mich gegen das Klettergerüst und gähnte. »Wäre toll, wenn wir auf alles eine Antwort hätten, oder?«
Ich betrachtete den Umriß seines Gesichts, das neben mir in der Dunkelheit leuchtete, und merkte plötzlich, daß etwas in meinem Hinterkopf ruckte und zerrte wie ein kleiner Angelhaken. Irgend etwas hatte er eben gesagt, das mich gestört hatte.
Ich sah Broussard an und fühlte, daß sich der Angelhaken tiefer in meinen Hinterkopf grub. Er schloß die Augen, doch aus irgendeinem Grund hätte ich ihn am liebsten geschlagen.
Statt dessen sagte ich: »Ich bin froh.«
»Worüber?«
»Daß ich Corwin Earle umgebracht habe.«
»Ich auch. Ich bin froh, daß ich Roberta umgebracht habe.« Er goß mir Rum nach. »Scheiße noch mal, Patrick, ich bin heilfroh, daß keiner von diesen durchgedrehten Wichsern das Haus lebend verlassen hat. Trinken wir darauf? «
Ich sah die Flasche an, dann Broussard und suchte in seinem Gesicht nach dem, was mich plötzlich so an ihm gestört hatte. Mir angst machte. Im Dunkeln und bei dem ganzen Alkohol konnte ich jedoch nichts erkennen, deshalb hob ich meinen Becher und stieß mit ihm an.
»Auf daß sie in alle Ewigkeit in den Körpern ihrer Opfer in der Hölle schmoren!« sagte Broussard. Er hob mehrmals die Augenbraue. »Kommt danach nicht ein Amen, Bruder?« »Amen, Bruder.«
28
Lange saß ich im aschgrauen Halbdunkel meines vom Mond beleuchteten Schlafzimmers und sah Angie beim Schlafen zu. Ich ging die Unterhaltung mit Broussard immer wieder im Kopf durch. Dabei trank ich aus einem großen Becher Kaffee von Dunkin’ Donuts, den ich mir auf dem Heimweg geholt hatte, und mußte lächeln, als Angie den Namen des Hundes murmelte, den sie als Kind gehabt hatte, und dann mit der Hand über das Kopfkissen streichelte.
Vielleicht hatte das Trauma über die Erlebnisse im Haus der Tretts die Gedanken ausgelöst. Vielleicht war es nur der Rum. Oder es lag daran, daß ich, je stärker ich mich bemühte, mir die Geschehnisse vom Hals zu halten, den Einzelheiten, den Details immer mehr Wert beimaß, einem beiläufig geäußerten Wort oder Satz zum Beispiel, der in meinem Kopf anfing zu klingeln und nicht mehr aufhörte. Woran es diesmal auch lag, heute abend auf dem Spielplatz hatte ich eine Erkenntnis gewonnen und eine Lüge entdeckt. Und zwar gleichzeitig.
Broussard hatte recht gehabt: nichts funktionierte.
Aber ich hatte auch recht gehabt: Auch noch so sorgfältig gepflegte Masken bekommen irgendwann Risse.
Angie drehte sich auf den Rücken und stöhnte leise, dann trat sie gegen die Decke, die sich um ihre Füße gewickelt hatte. Diese ungewohnte Bewegung - das Bein lag in Gips -weckte sie auf. Sie blinzelte, hob den Kopf, blickte auf das Gipsbein, drehte sich dann um und erkannte mich.
»Hey. Was…« Sie setzte sich auf und schob sich das Haar aus den Augen. »Was machst du da?«
»Ich sitze hier«, antwortete ich. »Ich denke nach.«
»Bist du betrunken?«
Ich hob den Kaffeebecher. »Nicht so, daß man’s merkt.«
»Dann komm ins Bett.« Sie streckte die Hand aus.
»Broussard hat uns angelogen.«
Sie zog die Hand zurück und stützte sich damit ab, um sich
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