Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kein Kinderspiel

Kein Kinderspiel

Titel: Kein Kinderspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dennis Lehane
Vom Netzwerk:
sie kannte, desto weniger wollte ich mit ihr in einem Zimmer sein. Als wir über ihre Tochter sprachen, teilte sie uns mit, wie sehr sie ihr Leben haßte. Sie sei einsam; es gebe keine guten Männer mehr; man müsse eine Mauer um Mexiko bauen, damit die Mexikaner nicht mehr rüberkommen könnten, die hier oben in Boston den anderen die Arbeit wegnahmen. Sie war überzeugt, daß es einen Plan der Liberalen gebe, die anständigen Amerikaner zu verderben, konnte uns aber nicht erklären, um was für einen Plan es sich dabei handelte. Sie wußte nur, daß er sie daran hinderte, glücklich zu sein, und dafür sorgte, daß die Schwarzen von der Sozialhilfe lebten. Sicher, sie selbst lebte auch davon, aber in den letzten sieben Jahren hatte sie sich wirklich angestrengt, um das zu ändern.
    Sie sprach über Amanda, wie man von einem gestohlenen Auto oder einem entlaufenen Haustier spricht: eher verärgert als betroffen. Ihr Kind war verschwunden - Mann, war das eine Scheiße!
    Es kam rüber, als hätte Gott Helene McCready zum größten Opfer der Weltgeschichte gekürt. Die anderen durften abtreten. Schluß mit lustig.
    »Helene«, sagte ich gegen Ende unseres Gesprächs, »kannst du uns noch irgendwas sagen, was du bei der Polizei vielleicht vergessen hast?«
    Helene blickte auf die Fernbedienung auf dem Couchtisch. »Was?« fragte sie.
    Ich wiederholte meine Frage.
    »Es ist schwer«, antwortete sie. »Verstehst du?«
    »Was?« fragte ich.
    »Wenn man ein Kind hat.« Sie blickte zu mir auf, und ihre leeren Augen weiteten sich, als gebe sie eine große Weisheit preis. »Es ist schwer. Nicht wie in der Werbung.«
    Als wir das Wohnzimmer verließen, stellte Helene den Fernseher wieder an, und wie auf ein Stichwort rauschte Dottie mit zwei Dosen Bier in der Hand an uns vorbei.
    »Sie kommt mit ihren Gefühlen nicht klar«, sagte Lionel, als wir uns in der Küche niedergelassen hatten.
    »Ja«, sagte Beatrice. »Sie ist ‘ne Fotze.« Sie goß sich Kaffee ein.
    »Ich will dieses Wort hier nicht hören«, befahl Lionel ihr. »Bitte nicht.«
    Beatrice goß auch Angie Kaffee ein und sah dann mich fragend an.
    Ich hob meine Coladose.
    »Lionel«, bemerkte Angie, »Ihre Schwester scheint sich über Amandas Verschwinden keine allzu großen Sorgen zu machen.«
    »Doch, sie macht sich Sorgen«, widersprach er. »Gestern zum Beispiel hat sie die ganze Nacht geweint. Ich glaub’ einfach, daß sie im Moment keine Tränen mehr hat. Daß sie versucht, ihre … ihre Trauer in den Griff zu kriegen.«
    »Lionel«, entgegnete ich, »ich möchte Ihnen nicht zu nahe treten, aber ich sehe nur Selbstmitleid, keine Trauer.«
    »Aber es stimmt!« Lionel kniff die Augen zusammen und sah zu seiner Frau. »Es stimmt. Wirklich.«
    Angie sagte: »Ich weiß, daß wir das schon gesagt haben, aber ich sehe echt nicht, was wir noch tun können. Die Polizei hat doch schon alles versucht.«
    »Ich weiß.« Lionel seufzte. »Ich weiß.«
    »Vielleicht später«, warf ich ein.
    »Ja, klar«, stimmte er zu.
    »Wenn die Polizei auf dem Schlauch steht und die Sache abschreibt«, ergänzte Angie. »Dann vielleicht.«
    »Ja.« Lionel stieß sich von der Wand ab und hielt uns die Hand hin. »Leute, trotzdem danke, daß ihr vorbeigekommen seid. Vielen Dank… für alles.«
    »Kein Problem.« Ich wollte ihm die Hand schütteln.
    Beatrices Stimme, rauh, aber deutlich, ließ mich innehalten: »Sie ist erst vier!«
    Ich sah sie an.
    »Vier Jahre alt«, wiederholte sie, die Augen zur Decke erhoben. »Irgendwo da draußen. Vielleicht hat sie sich verlaufen. Vielleicht ist etwas Schlimmeres passiert.«
    »Schatz«, sagte Lionel leise.
    Beatrice schüttelte den Kopf. Sie blickte auf ihre Kaffeetasse hinunter, legte dann den Kopf in den Nacken und trank sie mit geschlossenen Augen leer. Danach stellte sie die Tasse auf den Tisch und beugte sich vornüber, die Hände gefaltet.
    »Mrs. McCready«, flehte ich sie an, doch sie schnitt mir mit einer Handbewegung das Wort ab.
    »Sie spürt jede Minute, daß niemand nach ihr sucht.« Sie hob den Kopf und öffnete die Augen.
    »Schatz«, sagte Lionel wieder.
    »Ich bin nicht dein Schatz!« Sie sah Angie an. »Amanda hat Angst. Sie ist verschwunden. Und Lionels Schlampenschwester sitzt mit ihrer fetten Freundin fett bei mir im Wohnzimmer rum, kippt sich das Bier rein und glotzt sich selbst im Fernsehen an. Und wer kümmert sich um Amanda? Hm?« Mit roten Augen blickte sie erst ihren Mann, dann Angie und mich an. Schließlich sah sie zu

Weitere Kostenlose Bücher