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Kein Kinderspiel

Kein Kinderspiel

Titel: Kein Kinderspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dennis Lehane
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Ecke der Theke herum, die der Tür am nächsten war. Einer nach dem anderen drehte sich langsam um und sah uns an.
    »Wo ist Lee Marvin, wenn man ihn braucht?« flüsterte ich Angie zu.
    »Oder Eastwood«, sagte Angie. »Ich wäre momentan für Clint.«
    Im hinteren Teil spielten zwei Männer Poolbillard. Besser gesagt: Sie hatten Pool gespielt, bis wir hereinkamen und ihnen irgendwie das Spiel versauten. Einer von ihnen sah vom Tisch auf und runzelte die Stirn.
    Der Barkeeper hatte uns den Rücken zugewandt. Ganz gebannt verfolgte er in dem über ihm hängenden Fernseher eine Folge von Gilligans Insel. Gerade schlug der Skipper Gilligan mit der Mütze auf den Kopf. Der Professor versuchte, sie auseinanderzubringen. Die Howells lachten. Mary-Anne und Ginger waren nicht zu sehen. Vielleicht hatte das was mit der Geschichte zu tun.
    Angie und ich setzten uns auf zwei Hocker am hinteren Ende der Theke, in der Nähe des Barkeepers, und warteten darauf, daß er uns ansprach.
    Der Skipper schlug noch immer auf Gilligan ein. Offenbar war er sehr wütend wegen irgendeines Affen.
    »Die Folge ist super«, sagte ich zu Angie. »Fast kommen sie von der Insel runter.«
    »Echt?« Angie zündete sich eine Zigarette an. »Und was hindert sie daran, bitte sehr?«
    »Skipper gesteht seine Liebe zu seinem kleinen Begleiter, und alle fangen ganz hektisch an, die Hochzeit vorzubereiten, aber dann klaut die Affenfrau das Boot und alle Kokosnüsse.«
    »Genau, jetzt erinnere ich mich wieder«, sagte Angie.
    Der Barkeeper drehte sich zu uns um. »Was wollt ihr?« fragte er.
    »Ihr feinstes Ale, bitte!« bestellte ich.
    »Zweimal«, ergänzte Angie.
    »Okay«, gab der Barkeeper zurück. »Aber dann haltet ihr die Klappe, bis die Folge vorbei ist. Hier gibt’s welche, die das noch nicht gesehen haben.«
    Nach Gilligans Insel wurde zu Public Enemies umgeschaltet, eine auf Tatsachen basierende Kriminal-Doku, in der die Taten gesuchter Schwerverbrecher von völlig unfähigen Schauspielern nachgespielt wurden. Neben ihnen wirkten Van Damme und Seagal wie Laurence Olivier und John Gielgud. Die laufende Folge handelte von einem Mann aus Montana, der seine Kinder zuerst vergewaltigt, dann mit dem Messer bearbeitet und später in North Dakota einen berittenen Polizisten erschossen hatte. Er schien sein ganzes Leben damit verbracht zu haben, jedem, der ihm über den Weg lief, den Tag zu versauen.
    »Wenn ihr mich fragt«, sagte Big Dave Strand zu Angie und mir, während das Gesicht des Ganoven über den Bildschirm flimmerte, »müßtet ihr euch mal mit so einem unterhalten, anstatt meine Leute hier zu nerven.«
    Big Dave Strand war der Inhaber und Wirt des Filmore Tap. Wie es seinem Spitznamen entsprach, war er riesengroß, mindestens ein Meter neunzig, und dabei war sein Körper so breit, als sei das Fleisch in Lagen um die Knochen gewickelt worden und nicht natürlich gewachsen. Auf der Oberlippe trug Big Dave einen Schnäuzer, darunter einen buschigen Bart. Auf seinen Oberarmen prangten dunkelgrüne Tätowierungen. Die auf dem linken Arm zeigte einen Revolver mit dem Wort FUCK darunter. Rechts war eine Kugel abgebildet, die in einen Schädel einschlug. Darunter stand YOU.
    Komisch, daß ich Big Dave noch nie in der Kirche gesehen hatte.
    »Im Knast kannte ich Typen wie den«, sagte Big Dave und zapfte sich noch ein Glas Bier. »Perverse Schweine. Die wurden immer von den anderen ferngehalten, weil sie genau wußten, was wir mit denen anstellen würden. Wußten die genau.« Er trank das halbe Glas leer, sah zum Fernseher hoch und rülpste.
    Aus irgendeinem Grund roch es in der Kneipe nach saurer Milch. Und Schweiß. Und Bier. Und nach dem Popcorn, das in kleinen Körbchen die Theke entlang vor jedem vierten Barhocker stand. Kunststoffbelag bedeckte den Boden, und hinter der Theke hing ein Wasserschlauch. Doch so, wie der Boden aussah, war der Schlauch schon seit Jahrzehnten nicht mehr eingesetzt worden. Zigarettenkippen und Popcorn waren in den Belag getreten, und ich war überzeugt, daß die schnellen Bewegungen im Dunkeln unter den Tischen Mäuse waren, die an den Fußleisten entlanghuschten.
    Wir hatten die vier Männer nach Helene McCready befragt, doch hatte uns keiner richtig weitergeholfen. Sie waren alle älter, der jüngste von ihnen mußte Mitte Dreißig sein, sah aber zehn Jahre älter aus. Alle musterten Angie von Kopf bis Fuß, als würde sie nackt im Fenster eines Schlachters ausgestellt. Sie waren nicht gerade abweisend, aber auch

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