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Kein Kinderspiel

Kein Kinderspiel

Titel: Kein Kinderspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dennis Lehane
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feuerte ihre .38 ab.
    Er warf mit dem Gewehr nach ihr, ich griff nach meiner .45. Das Gewehr traf Angie an der Brust. Sie fiel hin.
    Broussard sprang über die beiden Dartspieler und rannte wie ein Profisprinter auf die Ausgangstür zu.
    Ich kniff das linke Auge zu, zielte und drückte zweimal ab, als Broussard die Vordertür erreichte. Ich sah, wie sein rechtes Bein ausschlug und er es hinter sich herzog, bevor er um die Ecke bog, das Schloß entriegelte und nach draußen in die Nacht stürzte.
    »Angie!«
    Sie saß zwischen den umgeworfenen Stühlen. »Mir geht’s gut.«
    Ryerson rief: »Ruft einen Krankenwagen! Einen Krankenwagen!«
    Ich blickte zu Lionel hinunter. Er wand sich stöhnend auf dem Boden, hielt die Hände vors Gesicht, Blut rann ihm durch die Finger.
    Ich rief dem Barkeeper zu: » Los, einen Krankenwagen!«
    Er griff zum Hörer und wählte.
    Ryerson lehnte sich gegen die Wand, ein Großteil seiner Schulter fehlte, und schrie zur Decke empor. Sein Körper schlug wild umher.
    »Er bekommt einen Schock«, sagte ich zu Angie.
    »Ich mach’ schon.« Sie krabbelte zu Ryerson herüber. »Ich brauche alle Handtücher, die da sind, und zwar sofort!«
    Eine der Sekretärinnen sprang über die Theke.
    »Beatrice«, stöhnte Lionel. »Beatrice.«
    Das Gummiband, mit dem Popeyes Maske gehalten wurde, hatte sich gelöst, als er gegen die Theke fiel und Ryersons Kugeln sein Brustbein durchbohrten. Ich sah in das Gesicht von John Pasquale. Er war tot. Er hatte recht gehabt, gestern nach dem Footballspiel: Irgendwann ist es mit dem Glück vorbei.
    Angie fing gerade ein Handtuch auf, das die Sekretärin ihr durch den Raum zuwarf. Sie sah mich an. »Hol Broussard, Patrick. Hol ihn dir!«
    Ich nickte, während die Sekretärin an mir vorbeilief, sich neben Lionel hockte und ihm ein Handtuch an den Kopf drückte.
    Ich suchte in der Jackentasche nach dem zweiten Magazin, fand es und verließ die Kneipe.

33
    Ich folgte Broussards Spur über den Broadway und die Commercial Street, von wo sie in das Gebiet entlang der East Second Street mit seinen Lagerhäusern und Speditionen abbog. Die Spur war nicht zu übersehen. Beim Verlassen der Bar hatte Broussard die Caspermaske vom Gesicht gezogen. Sie lag auf dem Bürgersteig und sah mich mit einem zahnlosen Lächeln und leeren Augenhöhlen an. Frische Blutstropfen, die im Licht der Straßenlaternen glänzten, verrieten mir Broussards schwankenden Weg. Sie wurden dickflüssiger und größer, je tiefer sie in das spärlich beleuchtete Gebiet hineinführten, über das zerklüftete Kopfsteinpflaster, an den dunklen Lagerhallen, leeren Laderampen und Fernfahrer-Kaschemmen mit Vorhängen vor den Fenstern und Neonschildern vorbei, bei denen jede zweite Lampe kaputt war. Sattelschlepper auf dem Weg nach Buffalo oder Trenton rollten ächzend und polternd über die mit Schlaglöchern übersäten Straßen. Kurz tauchten ihre Scheinwerfer das Ende der Blutspur in Licht, Broussard hatte offenbar innegehalten, um ein Türschloß aufzubrechen. Vor der Tür hatte das Blut eine Pfütze gebildet und war gegen die Tür gespritzt. Ich hätte nie gedacht, daß ein Bein so bluten konnte, aber vielleicht hatte die Kugel den Oberschenkelknochen zersplittert oder eine Hauptschlagader getroffen.
    Ich sah mir das Gebäude an. Es war sechs Stockwerke hoch und aus dem schokoladenbraunen Backstein erbaut, den man um die Jahrhundertwende verwendet hatte. Unkraut wucherte bis zu den Fensterbänken im Erdgeschoß, und die Bretter vor den Fenstern hatten Risse und waren mit Graffiti bemalt. Es war riesengroß, wahrscheinlich war es früher ein Lager für große Gegenstände oder eine Produktions-oder Montagehalle von Maschinen.
    Beim Betreten erkannte ich, daß es eine Montagehalle gewesen war. Denn als erstes sah ich die Umrisse einer Fertigungsstraße mit Flaschenzügen und Ketten, die von den Dachsparren in sechs Metern Höhe herabhingen. Das Fließband selbst und die Laufrollen, die sich früher darunter befunden hatten, waren nicht mehr da, doch war das Gestell noch vorhanden, am Boden festgeschraubt. An den Ketten hingen gekrümmte Haken, die wie Finger winkten. Ansonsten war die Halle leer. Alles Wertvolle war entweder von Landstreichern oder Kindern gestohlen oder von den ehemaligen Besitzern herausgerissen und verkauft worden.
    Rechts führte eine Eisentreppe ins nächste Stockwerk, die ich vorsichtig erklomm. In der Dunkelheit konnte ich die Blutspur nicht mehr erkennen. Angestrengt versuchte ich, in

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