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Kein Kinderspiel

Kein Kinderspiel

Titel: Kein Kinderspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dennis Lehane
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das Gegenteil behaupten. In ihrem Schockzustand, den eigenen Tod vor Augen, würden sie sich nur an das erinnern, was die Verbrecher jetzt sagten - daß Lionel geredet hätte. Daß alle an unserem Tisch gesprochen hätten. Daß wir die gefährlichen Männer nicht in Ruhe gelassen und sie uns deshalb umgebracht hatten.
    Casper zog den Schlitten des Gewehrs zurück. Es klang, als würde eine Kanone abgeschossen. »Mußt du hier den großen Mann markieren? Geht es darum?«
    Lionel öffnete den Mund. »Bitte«, sagte er.
    Ich sagte: »Wartet!«
    Das Gewehr schwenkte zu mir herüber. Die dunklen Löcher der Läufe waren wohl das letzte, das ich sehen würde.
    »Detective Remy Broussard!« rief ich laut, damit mich alle in der Kneipe hören konnten. »Habt ihr das alle verstanden? Remy Broussard!« Ich blickte durch die Löcher in der Maske auf die tiefblauen Augen und entdeckte Angst und Unsicherheit in ihnen.
    »Tun Sie’s nicht, Broussard«, bat Angie.
    »Haltet euer Schandmaul!« rief Popeye, doch verlor er langsam die Beherrschung. Die Sehnen in seinen Unterarmen traten hervor.
    »Es ist vorbei, Broussard. Es ist vorbei. Wir wissen, daß Sie Amanda McCready entführt haben.« Ich hob den Kopf. »Haben Sie das alle gehört? Amanda McCready!«
    Als ich mich ihm wieder zuwandte, gruben sich die kalten Metallrohre des Gewehrs in meine Stirn. Vor meinen Augen sah ich den angewinkelten roten Finger am Abzugbügel. Aus der Nähe wirkte der Finger eher wie ein Insekt oder ein rotweißer Wurm. Er sah aus, als habe er einen eigenen Kopf.
    »Mach die Augen zu«, sagte Casper. »Ganz fest.«
    »Mr. Broussard«, flehte Lionel. »Bitte tun Sie das nicht! Bitte!«
    »Jetzt drück schon ab, verdammte Scheiße!« rief Popeye seinem Kumpan zu. »Los!«
    »Broussard…« sagte Angie.
    »Jetzt hört auf, diesen Scheißnamen zu sagen!« Popeye stieß einen Stuhl gegen die Wand.
    Ich ließ die Augen auf, fühlte das runde Metall auf meiner Haut, roch das Schmieröl und das alte Schießpulver, sah den Finger am Abzug.
    »Es ist vorbei«, sagte ich wieder, doch kam es durch meinen trockenen Hals und Mund wie ein Krächzen heraus. »Es ist vorbei.«
    Lange Zeit sagte niemand etwas. In dieser absoluten Stille spürte ich, wie sich die Welt um ihre Achse drehte.
    Broussard neigte den Kopf zur Seite, und ich sah diesen Ausdruck in seinem Blick, den ich schon gestern beim Footballspiel kennengelernt hatte, das brennende Flackern.
    Dann wurde es von Resignation abgelöst, die sich langsam seines gesamten Körpers bemächtigte. Er ließ den Finger vom Abzug gleiten und senkte die Waffe.
    »Ja«, flüsterte er. »Vorbei.«
    »Willst du mich verarschen?« schrie sein Partner. »Wir müssen das durchziehen! Mann, wir müssen das machen. Wir haben Befehle! Los! Mach schon!«
    Broussard schüttelte den Kopf, das Mondgesicht von Casper mit dem Kinderlächeln schwang hin und her. »Es ist vorbei. Laß uns gehen.«
    »Das ist ganz und gar nicht vorbei, du Arsch! Kannst du diese Schweine nicht wegputzen? Fick dich, du Stück Scheiße. Ich kann’s!«
    Popeye hob die Hand und zielte mit dem Gewehr auf Lionels Gesicht, doch griff Ryerson nach der Waffe in seinem Schoß. Der erste Schuß, der in Popeyes linkem Oberschenkel steckenblieb, wurde durch den Tisch geschwächt.
    Als Popeye nach hinten fiel, entlud sich sein Gewehr. Lionel schrie, griff sich an den Kopf und stürzte vom Stuhl.
    Ryerson nahm die Pistole vom Tisch und schoß Popeye zweimal in die Brust.
    Als Broussard den Abzug des Gewehrs betätigte, hörte ich deutlich die Pause - ein Sekundenbruchteil der Stille - zwischen dem Kontakt von Abzug und Patrone und der Explosion, die wie Donnerhall in meinen Ohren dröhnte.
    Neal Ryersons linke Schulter verschwand in einer Wolke aus Feuer, Blut und Knochen. Sie schmolz, explodierte und verflüchtigte sich gleichzeitig in einer lärmenden Schallwelle. Ryerson fiel vom Stuhl, während Remy Broussard das qualmende Gewehr wieder hob. Der Tisch fiel mit Ryerson um. Seine Waffe rutschte ihm aus der Hand, fiel auf einen Stuhl und von dort zu Boden.
    Angie hatte ihre Pistole ebenfalls gezogen, doch wich sie nach links aus, als sich Broussard zu ihr drehte.
    Ich rammte ihm den Kopf in den Magen, legte die Arme um ihn und lief auf die Theke zu. Ich warf ihn mit dem Rücken gegen den Handlauf und hörte ihn grunzen. Dann schlug er mir mit dem Schaft des Gewehrs in den Nacken.
    Meine Knie sackten zu Boden, ich ließ ihn los, und Angie schrie: »Broussard!« und

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