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Kein Kinderspiel

Kein Kinderspiel

Titel: Kein Kinderspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dennis Lehane
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beste in der ganzen Gegend. Direkt aus dem Hahn.«
    Das Victoria Diner befand sich in Roxbury, nicht weit von Dorchester entfernt, und hatte wirklich tolles Essen. Nick Raftopoulos aß Schweinekoteletts, Remy Broussard eine Truthahnkeule.
    Angie und ich tranken Kaffee. »Ihr kommt also kein Stück voran«, resümierte Angie.
    Poole tunkte sein Schweinefleisch in Apfelsauce. »Ehrlich gesagt, nein.«
    Broussard wischte sich den Mund mit der Serviette ab. »Wir beide haben noch nie an einem dermaßen öffentlichen Fall gearbeitet, der sich so lange hinzog und gut ausgegangen wäre.«
    »Ihr glaubt also nicht, daß Helene was damit zu tun hat?« wollte ich wissen.
    »Anfangs schon«, entgegnete Poole. »Am Anfang ging ich davon aus, daß sie ihr Kind verkauft hat oder daß irgendein Dealer, dem sie noch Geld schuldet, die Kleine entführt hat.«
    »Und dann?« fragte Angie.
    Poole kaute sein Essen und stieß Broussard an, damit der antwortete.
    »Der Lügendetektor. Sie hat ihn mit eins plus bestanden. Außerdem, wenn dieser Typ hier, der die Koteletts verschlingt, und ich jemanden gemeinsam in die Mangel nehmen, ist es ziemlich schwer, uns anzulügen. Das soll nicht heißen, daß Helene nicht lügt, aber nicht, was das Verschwinden ihrer Tochter angeht. Sie weiß wirklich nicht, was mit ihr passiert ist.«
    »Was ist mit der Nacht, in der Amanda verschwand?« stellte ich die entscheidende Frage.
    Broussards Sandwich schwebte in der Luft. »Was soll damit sein?«
    »Glaubt ihr die Story, die sie der Presse erzählt hat?« erklärte Angie.
    »Gibt es einen Grund, daß wir das nicht tun sollten?«
    Poole tunkte seine Gabel in die Apfelsauce.
    »Big Dave hat uns eine andere Version erzählt.«
    Poole lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und wischte sich die Krümel von den Händen. »Und die lautet?«
    »Habt ihr Helenes Geschichte geglaubt oder nicht?« beharrte Angie.
    »Nicht so ganz«, lenkte Broussard ein. »Wenn man dem Lügendetektor glaubt, war sie mit Dottie zusammen, aber vielleicht nicht bei Dottie zu Hause. Sie besteht aber darauf. «
    »Wo war sie denn?« drängte Poole.
    »Wenn man Big Dave glaubt, war sie im Filmore.«
    Poole und Broussard sahen sich an, dann wieder uns.
    »Also hat sie uns verarscht«, sagte Broussard ganz langsam.
    »Wollte sich ihre fünfzehn Sekunden nicht versauen«, bemerkte Poole.
    »Ihre fünfzehn Sekunden?« wiederholte ich.
    »Ihren Auftritt«, erklärte Poole. »Früher waren es fünfzehn Minuten, heutzutage nur noch Sekunden.« Er seufzte. »Im Fernsehen, als sie in dem schicken blauen Kleid die trauernde Mutter spielte. Erinnert ihr euch noch an die brasilianische Frau in Allston, deren Sohn vor ungefähr acht Monaten verschwand?«
    »Er wurde nie gefunden.« Angie nickte.
    »Genau. Mir geht’s aber um die Mutter, ja? Sie hatte eine dunkle Hautfarbe, war schlampig angezogen und guckte immer irgendwie breit in die Kamera, stimmt’s? Es dauerte nicht lange, da war den Menschen der vermißte Junge scheißegal, denn die Mutter war ihnen so unsympathisch.«
    »Aber Helene McCready ist weiß«, sagte Broussard. »Sie macht sich zurecht, wirkt gut vor der Kamera. Vielleicht merken die Leute, daß sie nicht gerade die Hellste ist, aber sie wirkt sympathisch und liebenswert.«
    »Finde ich nicht«, widersprach Angie.
    »Ja, in Wirklichkeit!« Broussard schüttelte den Kopf. »In Wirklichkeit ist sie so liebenswert wie eine Kiste voller Schlangen. Aber auf dem Bildschirm? Wenn sie nicht länger als fünfzehn Sekunden zu sehen ist? Die Kamera mag sie, die Leute mögen sie. Sie hat ihre Tochter knappe vier Stunden allein gelassen, sicher, die Leute regen sich auf, aber die meisten sagen: >Laßt sie in Ruhe. Wir machen alle mal einen Fehler^«
    »Wahrscheinlich hat sie noch nie in ihrem Leben so viel Unterstützung gehabt«, überlegte Poole. »Und wenn Amanda gefunden wird oder wenn was anderes passiert, das den Fall von der Titelseite verdrängt, und das passiert immer, dann ist Helene wieder dieselbe wie zuvor. Aber im Moment genießt sie ihre fünfzehn Sekunden. Das meine ich.«
    »Und ihr glaubt, nur deshalb erzählt sie nicht, wo sie wirklich gewesen ist?« wollte ich wissen.
    »Wahrscheinlich«, antwortete Broussard. Er wischte sich die Mundwinkel mit der Serviette ab und schob den Teller fort. »Versteht uns nicht falsch. Wir fahren gleich zu ihrem Bruder rüber und reißen ihr so richtig den Arsch auf, weil sie uns angelogen hat. Und wenn mehr dahintersteckt, finden wir es raus.«

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