Kein Kinderspiel
Leben durfte, bekam Corwin Earle einen neuen Zellennachbarn, einen Kriminellen aus Dorchester namens Bobby Minton. Der durfte sich, wenn er Corwin nicht gerade zu Brei prügelte, weil er ein Kinderficker war, die Phantasien des geistig Zurückgebliebenen anhören. Glaubt man Bobby Minton, so hatte Corwin einen großen Traum: Wenn er aus dem Gefängnis entlassen würde, wollte er sich auf die Suche nach seinem alten Zellennachbar Leon und seiner wunderbaren Frau Roberta machen und mit ihnen zusammen als eine glückliche große Familie leben. Aber Corwin wolle nicht ohne ein Geschenk bei seinen Freunden auf der Matte stehen. Gilt wohl als schlechtes Benehmen. Bobby Minton behauptet, mit dem Geschenk meinte er nicht eine Flasche Schnaps für Leon und einen Strauß Rosen für Roberta. Es mußte ein Kind sein. Ein kleines Kind, sagte Bobby. Corwin und Leon mögen die Kleinen besonders gern. Höchstens neun Jahre.«
»Hat sich dieser Bobby Minton bei euch gemeldet?« fragte Angie.
Poole nickte. »Sofort, als er von Amanda McCreadys Verschwinden erfuhr. Mr. Minton hat Corwin Earle scheinbar ständig mit lebhaft ausgemalten Geschichten traktiert, was die braven Leute aus Dorchester mit einem Kinderficker machen. Daß Corwin die Dorchester Avenue keine zehn Meter hinuntergehen könnte, bis ihm jemand den Schwanz abschneiden und ins Maul stopfen würde. Mr. Minton ist der Überzeugung, Corwin Earle habe absichtlich Dorchester gewählt und dort sein Mitbringsel für die Tretts geholt, weil er Mr. Minton auf diese Weise ins Gesicht spucken wollte.«
»Und wo ist Corwin Earle jetzt?« fragte ich.
»Weg. Verschwunden. Wir lassen das Haus seiner Eltern in Marshfield überwachen, aber bisher ohne Erfolg. Er hat den Knast mit einem Taxi verlassen, ließ sich zu einem Stripschuppen in Stoughton kutschieren, und danach hat ihn keiner mehr gesehen.«
»Und der Telefonanruf von diesem Bobby Minton, oder wie der heißt, ist der einzige Anhaltspunkt, der Earle und die Tretts mit Amanda in Verbindung bringt?«
»Nicht gerade viel, hm?« bestätigte Broussard. »Ich hab ja gesagt, wir haben nicht viel. Könnte sein, daß Earle es nicht bringt, ein Kind in einer ihm unbekannten Gegend zu entführen. In seiner Akte ist nichts, was darauf verweisen würde. Er wurde verurteilt, weil er vor sieben Jahren in einem Sommerlager Kinder belästigt hat. Keine Gewaltanwendung, keine Entführung. Er hat vor seinem Zellenkollegen wahrscheinlich einfach nur herumgeprahlt.« »Was ist mit den Tretts?« fragte Angie. »Also, Roberta ist sauber. Die einzige größere Sache, für die sie verurteilt wurde, war Hehlerei nach einem Überfall auf einen Schnapsladen in Lynn in den späten Siebzigern. Sie hat ein Jahr abgesessen, kam dann auf Bewährung raus und hat seitdem keine einzige Nacht mehr im Bau verbracht.«
»Und Leon?«
»Leon.« Broussard hob die Augenbrauen und pfiff. »Leon ist böse, richtig böse. Wurde dreimal verurteilt, aber mindestens zwanzigmal angeklagt. Die meisten Klagen wurden fallengelassen, weil die Opfer die Aussage verweigerten. Ich weiß nicht, ob ihr die Gesetze von Kinderfickern kennt, aber das ist genauso wie bei Ratten und Kakerlaken: Wenn man ein Exemplar sieht, sind hundert andere in der Nähe. Faßt man so ein Schwein, das ein Kind mißbraucht, kann man mit ruhigem Gewissen davon ausgehen, daß er das schon mindestens dreißigmal gemacht hat und nicht dabei erwischt wurde, wenn er sich halbwegs intelligent angestellt hat. Bei einer vorsichtigen Schätzung hat Leon um die fünfzig Kinder mißbraucht. Und er wohnte in Randolph und später in Holbrook, als dort Kinder auf Nimmerwiedersehen verschwanden. Bei den Kollegen dort und bei denen von der Bundespolizei führt er die Liste von Verdächtigen an, was die Morde an diesen Kindern betrifft. Damit ihr eine abgerundete Vorstellung von Leons Persönlichkeit bekommt, hier noch eine Zusatzinformation: Als er das letzte Mal aufflog, fand die Polizei von Kingston einen riesigen Haufen automatischer Waffen in der Nähe seines Hauses vergraben.«
»Kam er deswegen vor Gericht?« fragte Angie.
Broussard schüttelte den Kopf. »Er war schlau genug, sie auf dem Grundstück seines Nachbarn zu vergraben. Die Bullen in Kingston wußten genau, daß sie ihm gehörten - sein ganzes Haus war voll von Rundschreiben der National Rifle Association, Bedienungsanleitungen für Waffen, rechtsradikalen Hetzschriften - also die üblichen Utensilien wohlsortierter Waffenfreaks -, aber sie konnten
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