Kein Kinderspiel
könnt ihr mir glauben, dann müßt ihr uns auf dem laufenden halten. Wenn wir das Gefühl haben, daß wir nicht anders behandelt werden als die Journalisten, bekommt Colgan einen Anruf.«
Broussard nickte. »Damit habe ich kein Problem. Poole?«
Poole zuckte mit den Achseln, ließ die Augen nicht von mir.
Angie warf ein: »Ich finde es schwer zu glauben, daß eine Vierjährige an einem warmen Abend einfach so verschwindet, ohne daß sie jemand sieht.«
Broussard drehte an seinem Ehering. »Ich auch.«
»Was habt ihr herausgefunden?« fragte Angie. »Das Ganze läuft seit drei Tagen. Ihr müßt doch etwas haben, was nicht in der Zeitung steht.«
»Wir haben zwölf Geständnisse«, eröffnete Broussard. »Sie fangen an mit: >Ich hab das Kind geholt und aufgefressen< bis zu >Ich hab das Kind geholt und an die Moon-Sekte verkauft<, denn die zahlen offensichtlich besonders viel.« Er lächelte uns sorgenvoll an. »Keins von den zwölf Geständnissen ist echt. Es gibt Irre, die behaupten, sie wäre in Connecticut, sie wäre in Kalifornien; nein, sie ist immer noch in Massachusetts, aber in einer Waldgegend. Wir haben Lionel und Beatrice McCready verhört, die haben wasserdichte Alibis. Wir haben alle Abwasserkanäle abgesucht. Wir haben alle Nachbarn auf der Straße in ihren Häusern vernommen, nicht nur um herauszubekommen, was sie in der Nacht gesehen oder gehört haben, sondern um ihre Häuser nebenbei nach irgendeiner Spur von dem Mädchen zu durchsuchen. Jetzt wissen wir, welcher Nachbar kokst, wer Alkoholiker ist, wer seine Frau schlägt und wer von ihr geschlagen wird, aber wir haben nicht das Geringste gefunden, das einen von ihnen mit dem Verschwinden von Amanda McCready in Verbindung bringen könnte.«
»Null«, sagte ich. »Ihr habt wirklich nichts.«
Broussard drehte den Kopf langsam zu Poole herum.
Nachdem Poole uns ungefähr eine Minute lang über den Tisch hinweg angesehen hatte, sich mit der Zunge im Mund herumgefahren war, sie gegen die Unterlippe gedrückt hatte, griff er in den abgegriffenen Aktenkoffer, der auf dem Sitz neben ihm lag, und holte einige Hochglanzfotos hervor. Ems davon reichte er uns über den Tisch.
Es war das schwarzweiße Porträtfoto eines Mannes Ende Fünfzig, dessen Gesicht aussah, als sei die Haut über den Knochen gestrafft, nach hinten gezogen und mit einer Metallklammer hinter den Ohren befestigt worden. Seine blassen Augen quollen fast aus den Höhlen, der schmale Mund verschwand beinahe unter einer riesigen Hakennase. Die eingefallenen Wangen waren so gerunzelt, als bisse er in eine Zitrone. Zehn, zwölf Strähnen grauen Haares waren mit den Fingern über seinen kahlen spitzen Schädel gekämmt worden.
»Schon mal gesehen?« fragte Broussard.
Wir schüttelten den Kopf.
»Heißt Leon Trett. Verurteilter Kinderschänder. Dreimal verurteilt. Beim ersten Mal wurde er in eine geschlossene Anstalt eingewiesen, die letzten beiden Male saß er im Knast. Vor ungefähr zweieinhalb Jahren hat er die letzte Strafe abgesessen, konnte Bridgewater verlassen und verschwand von der Bildfläche.«
Poole reichte uns ein zweites Foto, ein Farbbild, das eine riesige Frau zeigte, die Schultern wie ein Kleiderschrank hatte und mit ihrer Körperfülle und der struppigen braunen Mähne einem aufrecht stehenden Bernhardiner glich.
»Du lieber Gott!« staunte Angie.
»Roberta Trett«, erklärte Poole. »Die reizende Ehefrau des oben erwähnten Leon. Die Aufnahme wurde vor zehn Jahren gemacht, die Dame könnte sich also ein wenig verändert haben, ich bezweifle jedoch, daß sie geschrumpft ist. Roberta besitzt den berühmten grünen Daumen. Normalerweise ernährt sie sich und ihren geliebten Leon als Floristin. Vor zweieinhalb Jahren hängte sie ihren Job an den Nagel, zog aus ihrer Wohnung in Roslindale und ward seitdem nicht mehr gesehen.« »Aber…« warf Angie ein.
Poole reichte das dritte und letzte Foto über den Tisch. Es zeigte in Großaufnahme einen kleinen Mann mit heller Haut und zerknirschten, verwirrten Gesichtszügen. Mit hängendem rechten Augenlid schielte er in die Kamera, als stehe er in einem dunklen Zimmer und könne nichts sehen. Sein Gesicht spiegelte hilflose Wut und bestürzte Aufregung wider.
»Corwin Earle«, erklärte Poole. »Noch ein verurteilter Kinderschänder. Wurde vor einer Woche aus Bridgewater entlassen. Aufenthaltsort unbekannt.« »Aber hat mit den Tretts zu tun«, riet ich. Broussard nickte. »Saß mit Leon in Bridgewater. Als Leon zurück ins
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