Kein Kinderspiel
herzzerreißend, daß Gerti die Schultern verkrampfte.
»Tragisch«, stimmte Tanya zu, während das Gesicht von Amanda und die Telefonnummer der Ermittlungsgruppe Kind noch einmal für den Bruchteil einer Sekunde eingeblendet wurden.
»Nun zu einem ebenso erschütternden Vorfall«, kündigte Gordon an, als er wieder auf dem Bildschirm zu sehen war. »Bei einem Einbruch in ein Privathaus in Lowell wurden mindestens zwei Personen getötet und drei durch Schüsse verletzt. Wir schalten zu Martha Torsney in Lowell. Martha?«
Vorübergehend flimmerte der Bildschirm, kurzzeitig abgelöst von einer schwarzen Mattscheibe, dann erschien Martha. Wir lehnten uns zurück, um uns den Rest des Bandes anzusehen. Wir konnten uns darauf verlassen, daß Gordon und Tanya uns mitteilten, wie wir uns angesichts der uns vorgetragenen Ereignisse zu fühlen hatten. Sie würden die emotionale Leere füllen.
Acht Kassetten und neunzig Minuten später hatten wir nur steife Glieder und eine noch deprimiertere, nüchternere Meinung vom Mainstream-Journalismus als zuvor. Abgesehen von den Kameraeinstellungen, glichen sich die einzelnen Berichte wie ein Ei dem anderen. Je länger sich die Suche nach Amanda hinzog, desto einförmiger wurden die Bilder in den Nachrichten: Immer die gleichen Aufnahmen von Helenes Haus, Helene bei einem Interview, Broussard oder Poole bei einer offiziellen Stellungnahme, Nachbarn, die Flugblätter auf den Straßen verteilten, Polizisten, die sich über eine Motorhaube beugten und mit der Taschenlampe eine Karte der Umgebung beleuchteten oder einen Suchhund an der Leine hielten. Es stumpfte ab. Und auf jeden Bericht folgte der gleiche markige, widerlich rührselige Kommentar, die gleiche einstudierte Traurigkeit und das gleiche moralisierende Kopfschütteln der Nachrichtensprecher. Und jetzt zurück zu unserem regulären Programm…
»Tja.« Angie reckte sich, und ich hörte die Wirbel in ihrem Rückgrat krachen wie Walnüsse in einem Nußknacker. »Abgesehen davon, daß wir ein paar Leute im Fernsehen gesehen haben, die wir aus der Nachbarschaft kennen - was haben wir heute morgen erreicht?«
Ich beugte mich vor und streckte selbst meinen Hals, daß es krachte. Bald mußten wir beide Halskrausen tragen. »Nicht viel. Ich habe Lauren Smythe gesehen. Dachte immer, sie wäre umgezogen.« Ich zuckte mit den Achseln. »Ist mir wahrscheinlich nur aus dem Weg gegangen.«
»Ist das die, die mit einem Messer auf dich losgegangen ist?«
»Mit einer Schere«, verbesserte ich sie. »Aber ich sage mir, daß es das Vorspiel sein sollte. Sie war halt nicht sehr gut darin.«
Angie schlug mir mit dem Handrücken auf die Schulter. »Warte mal. Ich hab April Norton und Susan Siersma gesehen, die ich mindestens seit der High-School nicht mehr gesehen habe. Dann Billy Boran und Mike O’Connor, der hat ganz schön Haar verloren, nicht?«
Ich nickte. »Aber er hat auch ganz schön abgenommen.«
»Wen interessiert das? Er hat eine Glatze.«
»Manchmal habe ich das Gefühl, daß du noch simpler gestrickt bist als ich.«
Sie zuckte mit den Achseln und zündete sich eine Zigarette an. »Wer war noch dabei?«
»Danielle Genter«, antwortete ich. »Babs Kerins. Der ätzende Chris Mullen war überall.«
»Ist mir auch aufgefallen. Aber immer nur am Anfang.«
Ich nippte am kalten Kaffee. »Hä?« »Nur am Anfang. Er hing immer nur am Anfang von jeder Kassette im Hintergrund herum, am Ende nie.«
Ich gähnte. »Unser Chris ist halt ein Grenzgänger.« Ich nahm ihre leere Kaffeetasse und hielt sie zusammen mit meiner mit einem Finger fest. »Noch mehr Kaffee?«
Sie schüttelte den Kopf.
Ich ging in die Küche, stellte ihre Tasse in die Spüle und goß mir selbst neuen Kaffee ein. Als ich den Kühlschrank öffnete und die Sahne herausholte, kam Angie herein.
»Wann hast du Chris Mullen das letzte Mal hier in der Gegend gesehen?«
Ich machte den Kühlschrank wieder zu und sah sie an. »Wann hast du die ganzen anderen Leute das letzte Mal gesehen, die auf den Videos waren?«
Sie schüttelte den Kopf. »Laß die anderen mal da raus. Ich meine, die haben doch die ganze Zeit hier gewohnt. Aber Chris? Der ist doch in die Innenstadt gezogen. Hat sich so um 1987 herum eine Wohnung in den Devonshire Towers gekauft.«
Ich sah sie verständnislos an. »Noch mal: ja und?«
»Womit bitte verdient denn Chris Mullen sein Geld?«
Ich stellte die Sahne neben die Tasse auf den Tresen. »Er arbeitet für Cheese Olamon.«
»Der zufällig im
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