Kein Kinderspiel

Waiden Pond kommend durch die Lüfte schwebte, und sah die Sonne beim Untergehen hinter den Bäumen weicher und breiter werden. Ich lehnte mich gegen den Kofferraum des Taurus und stellte einen Fuß auf die Stoßstange. Poole drückte die Hand immer noch gegen Broussards Brust. Er redete auf ihn ein, die Lippen nah am Ohr des jüngeren Mannes.
    Auch wenn ich laut geschrien hätte - richtig schlechte Laune sah bei mir anders aus. Wenn ich wirklich sauer war, wenn der Schalter in meinem Kopf umgelegt war, dann wurde meine Stimme ganz flach, ausdruckslos und monoton. Dann bohrte sich ein roter Lichtstrahl durch meinen Schädel und löschte alles aus - Angst, Vernunft, Verständnis. Und je heißer dieser Strahl glühte, desto kälter wurde mein Blut. Schließlich war es blau wie Edelmetall, und meine Stimme senkte sich zu einem Flüstern.
    Dieses Flüstern wurde dann - meistens ohne jede Vorwarnung für mich oder andere - jäh durch einen Schlag meiner Hand oder einen Tritt meines Fußes unterbrochen. Das Zusammenspiel von dem rotem Lichtstrahl in meinem Schädel und dem metallisch kalten Blut ließ meine Muskeln in Sekundenbruchteilen kontrahieren. Das war der Jähzorn meines Vaters. Bevor mir bewußt war, daß ich ihn geerbt hatte, kannte ich ihn schon. Ich hatte darunter gelitten.
    Der entscheidende Unterschied zwischen meinem Vater und mir ist, so hoffe ich, der Umgang mit diesem Jähzorn. Mein Vater ließ diesen Zorn in sich explodieren, wann immer und wo immer es ihm paßte. Er ließ sich von seinen Launen beherrschen, so wie sich andere Männer von Alkohol, Stolz oder Eitelkeit beherrschen lassen.
    So wie sich das Kind eines Alkoholikers vornimmt, nie in seinem Leben zu trinken, schwor ich mir schon sehr früh, auf der Hut zu sein, wenn der rote Lichtstrahl bohrte, das Blut kalt und die Stimme monoton wurde. Uns entscheiden zu können, hebt uns von den Tieren ab. Davon war ich immer überzeugt. Ein Affe kann sich nicht entscheiden, keinen Appetit zu haben. Ein Mensch schon. In bestimmten, furchtbaren Momenten war mein Vater ein Tier. Ich weigerte mich, eines zu werden.
    Obwohl ich Broussards Zorn verstand, seine Verzweiflung, Amanda vielleicht nicht zu finden, nachfühlen konnte und auch verstehen konnte, daß er Cheese geschlagen hatte, weil er ihn nicht ernst nahm, wollte ich ihm nicht verzeihen. Weil das niemanden weiterbrachte. Es half Amanda nicht weiter, versenkte sie höchstens tiefer in dem Loch, in dem sie schon lag, machte sie für uns noch schwerer erreichbar.
    Vor meinen Füßen tauchten die Schuhe von Broussard auf. Ich spürte, daß er zwischen mir und der Sonne stand.
    »Ich halte das nicht mehr aus.« Er sprach so leise, daß seine Stimme fast nicht zu hören war. »Was, bitte?« fragte ich.
    »Daß solche Schweine Kindern weh tun und dann einfach weitergehen und sich auch noch toll vorkommen. Ich packe das nicht.«
    »Dann hängen Sie Ihren Job an den Nagel«, riet ich ihm.
    »Wir haben sein Geld. Er muß über uns gehen und das Mädchen eintauschen, damit er es zurückbekommt.«
    Ich sah ihm ins Gesicht, sah die Angst darin, die verrückte Hoffnung, nie wieder ein totes und furchtbar mißbrauchtes Kind sehen zu müssen.
    »Was ist, wenn ihm das Geld egal ist?« fragte ich.
    Broussard blickte zur Seite.
    »Das ist ihm nicht egal.« Poole trat zu uns ans Auto, legte die Hände auf das Dach, klang aber nicht sehr überzeugt.
    »Cheese hat massenweise Geld«, warf ich ein.
    »Sie kennen diese Typen«, widersprach Poole, »die haben nie genug davon. Die wollen immer mehr.« Broussard stand unbeweglich mit einem neugierigen Gesichtsausdruck da.
    »Zweihundert Riesen sind auch für Cheese kein Taschengeld«, sagte ich, »aber genausowenig der große Wurf. Das ist Kleingeld zum Bestechen und für die Einkommensteuer. Für ein Jahr. Was ist, wenn es ihm hier ums Prinzip geht?«
    Broussard schüttelte den Kopf. »Cheese Olamon hat keine Prinzipien.«
    » Oh doch.« Ich schlug mit der Hacke gegen die Stoßstange und wunderte mich noch mehr als die anderen über die Vehemenz in meiner Stimme. Ruhiger wiederholte ich: »Doch, die hat er. Und das oberste Gebot in seiner Welt lautet: Leg dich nicht mit Cheese an.«
    Poole nickte. »Und das hat Helene getan.«
    »Stimmt genau.«
    »Sie meinen, wenn Cheese sauer genug ist, dann tötet er das Mädchen und scheißt auf das Geld, damit wir diese Botschaft verstehen?«
    Ich nickte. »Und hat deswegen noch nicht mal Alpträume.«
    Poole wurde grau im Gesicht. Er trat