Kein Kinderspiel
ihn das zu Amanda bringt«, bemerkte ich. Angie nickte. »Beide würden das tun.« »Und vielleicht ist sie schon längst tot.«
Angie aschte durch den kleinen Spalt in ihrem Fenster nach draußen. »Sag so was nicht.«
»Ich kann nicht anders. Es ist immerhin möglich. Du weißt das auch. Genau wie ich.«
Einen Moment legte sich die Stille der großen Gebäude draußen über das Innere des Autos.
»Cheese haßt Zeugen«, sagte Angie schließlich.
»Stimmt.«
»Wenn das Kind tot ist«, fuhr Angie fort und räusperte sich, »dann dreht Broussard auf jeden Fall durch - und Poole höchstwahrscheinlich auch.«
Ich nickte. »Und Gott stehe dem bei, den sie für schuldig halten, seine Hände im Spiel zu haben.«
»Glaubst du, Gott wird da helfen?«
»Hä?«
»Gott«, wiederholte sie und drückte die Zigarette im Aschenbecher aus. »Glaubst du, er hilft Amandas Entführern eher als ihr selbst?«
»Wahrscheinlich nicht.«
»Aber andersrum…« Sie blickte durch die Windschutzscheibe nach draußen.
» Was? «
»Wenn Amanda tot ist und Broussard durchdreht und ihre Entführer umlegt, dann hilft Gott ja doch.«
»Ist aber ein seltsamer Gott.«
Angie zuckte mit den Achseln. »Besser als gar keiner«, sagte sie.
14
Mir war bekannt, daß Chris Mullen nur zu den Öffnungszeiten der Banken arbeitete. Er bevorzugte es, seine dunklen Geschäfte bei Tageslicht abzuwickeln, und so verließ er am nächsten Morgen um genau 8:55 Uhr die Devonshire Towers und bog nach rechts ab in die Washington Street.
Ich hatte einen halben Häuserblock hinter dem Hochhaus geparkt, und als ich im Rückspiegel sah, daß Mullen in Richtung State Street ging, drückte ich auf den Sendeknopf des Walkie-talkies, der neben mir auf dem Beifahrersitz lag und sagte: »Er ist gerade vorne rausgegangen.«
Von ihrem Posten auf der Devonshire Street, wo morgens keine Autos parken oder auch nur anhalten durften, gab Angie zurück: »Verstanden.«
Gegenüber von mir vor der Pi Alley stand Broussard in einem grauen T-Shirt, einer schwarzen Jogginghose und einer dunkelblau-weißen Warm-up-Jacke. Er schlürfte Kaffee aus einem Styroporbecher und las die Sportseiten der Zeitung. Er sah aus wie ein Jogger, der gerade seinen Morgensport absolviert hatte. Er hatte einen Kopfhörer an einen Empfänger gebastelt, der an seinem Hosenbund befestigt war, und beide gelb und schwarz angemalt, damit es wie ein Discman aussah. Er hatte sich vor fünf Minuten sogar Wasser über das T-Shirt gegossen, damit es aussah, als schwitze
er. Diese Leute von Rauschgift und Sitte - Meister der Tarnung bis ins Detail!
Als Mullen am Blumenladen vor dem Old State House rechts abbog, überquerte Broussard die Washington Street und folgte ihm. Ich sah, wie er den Kaffeebecher zum Mund führte und die Lippen bewegte, während er in den Sender sprach, den er unter das Armband seiner Uhr geklebt hatte.
»Bewege mich östlich auf der State. Hab’ ihn. Es geht los, Kinder!«
Ich schaltete das Funkgerät aus und ließ es in meiner Manteltasche verschwinden. Ich hatte meine Rolle noch zu spielen. Angelehnt an das Tarnungsmotto des heutigen Tages, trug ich den ältesten grauen Trenchcoat von allen Pennern dieser Stadt und hatte ihn am Morgen noch frisch mit Eidotter und Pepsi beschmiert. Mein fleckiges T-Shirt war über der Brust eingerissen, Jeans und Schuhe waren mit Farbe und Schmutz besprenkelt. Die Schuhsohlen hatten sich vom Rest des Leders gelöst, so daß meine nackten Zehen vorne herausschauten. Die Sohlen machten beim Gehen ein leicht klatschendes Geräusch. Ich hatte mir das Haar aus der Stirn gekämmt und es hochgefönt, so daß ich wie Don King aussah. Den Rest des Eises vom Trenchcoat hatte ich mir im Bart verschmiert.
Stilvolle Aufmachung.
Während ich über die Washington Street stolperte, öffnete ich den Reißverschluß und goß mir den Rest des Kaffees über die Brust. Die Menschen, die mir entgegenkamen, wichen meinem schwerfälligen Gang und meinen rudernden Armen aus, und ich murmelte unentwegt Wörter in den Bart, die ich nicht von meiner Mutter gelernt hatte. So stieß ich die goldumrandeten Eingangstüren von Devonshire Place auf.
Junge, dem Portier fielen fast die Augen aus dem Kopf, als er mich sah.
Genauso erging es den drei Menschen, die aus dem Aufzug stiegen und auf dem Marmorboden einen weiten Bogen um mich machten. Lüstern glotzte ich den beiden Frauen hinterher, die dabei waren. Grinsend betrachtete ich ihre Beine, die unter dem Saum von
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