Kein Kinderspiel
das?«
»Verdammt schlechte Nachrichten für Cheese Olamon.«
»Cheese sitzt im Knast, und seine beiden Stellvertreter -
angeblich Todfeinde - verbünden sich gegen ihn?«
Broussard nickte. »Sie übernehmen die Herrschaft.«
»Und wo bleibt Amanda?« fragte ich.
Broussard zuckte mit den Achseln. »Irgendwo in der Mitte.«
»In der Mitte von was?« fragte ich. »Vom Fadenkreuz?«
16
Eine der Regungen, die sich einstellen, wenn man solche Schweine eine Zeitlang verfolgt, ist, daß man ein wenig neidisch auf ihre Lebensweise wird.
Dabei geht es gar nicht um die großen Sachen - um ihre Sechzigtausend-Dollar-Schlitten, die millionenschweren Eigentumswohnungen und Sitzplätze an der Fünfzig-Yard-Linie bei den Heimspielen der Patriots -, die einen nerven, obwohl sie schon ärgerlich sind. Nein, es sind die kleinen täglichen Freiheiten, die sich ein Drogendealer leisten kann und die für den Rest der arbeitenden Bevölkerung völlig undenkbar sind.
Zum Beispiel habe ich Chris Mullen oder Pharaoh Gutierrez in der ganzen Zeit, in der ich sie beobachtete, kein einziges Mal ein Verkehrsschild beachten sehen. Rote Ampeln waren in ihren Augen offenbar nur etwas für Schlappschwänze, Stoppzeichen für Wichser. Die Geschwindigkeitsbeschränkung von 50 Meilen pro Stunde auf der Schnellstraße? Also, wirklich. Warum soll man 55 fahren, wenn man mit 90 doch viel schneller ans Ziel kommt? Warum die Überholspur benutzen, wenn der Standstreifen vollkommen frei ist?
Und dann die Sache mit den Parkplätzen. Ein Parkplatz in Boston ist ungefähr ein so geläufiger Anblick wie eine Skipiste in der Sahara. Kleine alte Ladies in Nerzstolen haben schon mit Pistolen um eine Lücke gekämpft. Mitte der achtziger Jahre hat irgendein Trottel tatsächlich eine Viertelmillion Dollar für die urkundliche Übertragung eines Garagenplatzes auf dem Beacon Hill hingelegt, und die monatlichen Betriebskosten waren noch nicht einmal darin enthalten.
Das ist Boston: klein und kalt, aber für eine Parklücke werden hier Menschen umgebracht. Besuchen Sie uns mit der ganzen Familie!
Gutierrez, Mullen und viele ihrer Gehilfen, die wir in den nächsten Tagen verfolgten, hatten dieses Problem nicht. Sie parkten einfach in zweiter Reihe, wo und wann es ihnen gefiel und solange es nötig war.
Einmal nahm Chris Mullen im Hammersleys auf der Columbus Avenue im South End sein Mittagessen ein. Als er wieder auf die Straße trat, wartete ein deutlich genervter Künstler auf ihn, mit extravagantem Ziegenbärtchen und drei Steckern im Ohr. Chris hatte den klobigen Honda Civic des Künstlers mit seinem schnittigen schwarzen Benz zugeparkt. Der Künstler hatte seine Freundin dabei, also mußte er einen Aufstand machen. Von dort, wo wir im Auto saßen, einen Block weiter auf der anderen Straßenseite, konnten wir das Gespräch nicht verstehen, doch war der Tenor unverkennbar. Der Künstler und seine Freundin schrien und gestikulierten. Chris näherte sich den beiden, schob den Kaschmirschal unter den dunklen Regenmantel von Armani, strich sich über die Krawatte und trat dem Künstler so geschickt gegen die Kniescheibe, daß der Kerl auf dem Boden lag, bevor seine Freundin zu Ende geredet hatte. Chris stand so nah vor der Frau, daß man sie für ein Liebespaar hätte halten können. Er setzte ihr den Zeigefinger auf die Stirn und winkelte den Daumen an. So hielt er die Hand einen Moment, doch ihr mußte es wie eine Ewigkeit vorkommen men. Dann drückte er ab. Anschließend führte er den Zeigefinger an die Lippen und pustete. Er grinste sie an, beugte sich vor und gab ihr einen schnellen Kuß auf die Wange.
Danach stiefelte Chris um seinen Wagen herum, stieg ein und fuhr davon. Betäubt starrte ihm das Mädchen hinterher, wahrscheinlich hatte sie noch immer nicht bemerkt, daß ihr Freund vor Schmerz heulte und sich wie eine Katze mit gebrochener Wirbelsäule auf dem Bürgersteig wand.
Abgesehen von uns und Broussard und Poole nahmen noch mehrere Beamte der Ermittlungsgruppe Kind an der Überwachung teil. Außer Gutierrez und Mullen beobachteten wir die ganze Ganovenriege von Cheese Olamons Männern. Beispielsweise Carlos »the Shiv« Orlando, dem das Tagesgeschäft in den Sozialbausiedlungen unterstand und der immer einen Stapel Comics bei sich trug. Oder J J Mac-Nally, der sich zum Oberluden aller nichtvietnamesischen Nutten von North Dorchester hochgearbeitet hatte, jedoch in eine kleine Vietnamesin verliebt war, die höchstens fünfzehn sein konnte.
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