Kein Kinderspiel
schossen durch den Kreisverkehr. Broussard drehte wieder am Lenkrad, erneut rutschten wir über die Standspur, Gras und Erde flogen auf die Motorhaube. Wir rasten an einer einsamen Mühle vorbei, und ungefähr fünfzig Meter weiter saß Poole am linken Straßenrand vor einem Lexus RX 300.
Er hatte den Kopf an den Kotflügel gelehnt. Sein Hemd war bis zum Bauchnabel geöffnet, eine Hand hielt er aufs Herz gepreßt.
Broussard trat in die Bremsen und sprang aus dem Fahrzeug, rutschte im Dreck aus und fiel neben Poole auf die Knie.
»Hey, Kollege!«
Poole schlug die Augen auf und lächelte schwach. »Hab’ mich verlaufen.«
Broussard fühlte seinen Puls, legte ihm die Hand aufs Herz und schob das linke Augenlid mit dem Daumen hoch.
»Schon gut, Kumpel, schon gut. Du schaffst das, ganz bestimmt.«
Mehrere Polizeiwagen fuhren an uns vorbei. Ein junger Bulle stieg aus dem ersten, er war aus Quincy, und Broussard wies ihn an: »Mach die Hintertür auf!«
Der junge Mann fummelte nervös mit einer Taschenlampe herum und ließ sie fallen. Er bückte sich, um sie aufzuheben.
»Mach die verfluchte Tür auf!« schrie Broussard. »Und zwar sofort!«
Der Mann trat die Taschenlampe unter das Auto, bevor er hinter sich griff und die Tür aufhielt.
»Kenzie, hilf mir mal!«
Ich nahm Pooles Beine in die Hand. Broussard schob sich vorsichtig hinter ihn und legte ihm die Arme um die Brust. Zusammen trugen wir ihn zum Wagen und schoben ihn auf die Rückbank.
»Mir geht’s gut«, sagte Poole. Seine Pupillen glitten nach links ab.
»Ja, sicher.« Broussard lächelte. Er wandte das Gesicht dem jungen Bullen zu, der sehr nervös zu sein schien. »Kannst du schnell fahren?«
»Ahm, ja, Sir.«
Hinter uns schlichen mehrere Trooper und Beamte aus Quincy mit gezogenen Waffen auf den Lexus zu.
»Kommen Sie aus dem Auto heraus!« rief einer der Staties und richtete die Waffe auf die Windschutzscheibe von Gutierrez’ Wagen.
»Welches Krankenhaus ist näher?« fragte Broussard. »Quincy oder Milton?«
»Ahm, von hier aus eher Milton, Sir.«
»Wie lange brauchst du bis da?« fragte Broussard ihn.
»Drei Minuten.«
»Jetzt nur zwei!« Broussard klopfte dem jungen Polizisten auf die Schulter und schob ihn zur Fahrertür.
Er sprang hinter das Lenkrad. Broussard drückte Poole die Hand und sagte: »Wir sehen uns später.«
Poole nickte schläfrig.
Wir traten zur Seite, und Broussard schlug die Tür zu.
»Zwei Minuten!« erinnerte er den Beamten. Die Reifen des Wagens schleuderten Schotter in die Luft und wirbelten Staub auf, so schnell raste der junge Polizist auf die Straße. Er schaltete das Licht an und flitzte über den Asphalt, als sei er von einer Abschußrampe katapultiert worden.
»Heilige Scheiße!« sagte ein anderer Bulle. Er stand vor dem Lexus. »Heilige Scheiße!« wiederholte er.
Broussard und ich gingen zu dem Wagen, er winkte ein paar Trooper heran, wies auf die verlassene Mühle und sagte: »Sichert das Gebäude, los!«
Sie stellten keine Fragen, sondern legten die Hände an die Waffen und rannten die Straße hinunter auf die Mühle zu.
Vor dem Lexus bahnten wir uns den Weg durch die Polizisten, die an der vorderen Stoßstange standen, und sahen dann durch die Windschutzscheibe Chris Mullen und Pharaoh Gutierrez. Gutierrez saß am Steuer, Mullen daneben. Die Scheinwerfer brannten noch. Der Motor lief. Vor jedem befand sich ein Loch in der Scheibe, umgeben von einem kleinen Spinnennetz.
Auch die Löcher in ihren Köpfen glichen sich stark - beide ungefähr so groß wie ein Zehncentstück mit einem ausgefransten weißen Rand. Aus beiden rann ein schmales Blutrinnsal auf die Nase herab.
Es sah aus, als sei Gutierrez der erste gewesen. In seinem Gesicht stand noch ein wenig Ungeduld geschrieben, seine Hände waren leer und lagen mit den Handflächen nach oben auf dem Sitz. Der Schlüssel steckte im Zündschloß, er stand auf Parken. Chris Mullens rechte Hand lag auf der Pistole in seinem Hosenbund, seine Miene drückte gleichzeitig Angst und Überraschung aus. Vielleicht war ihm eine halbe Sekunde geblieben, in der er wußte, daß er sterben mußte, vielleicht weniger. Doch es mußte gereicht haben, damit alles um ihn herum plötzlich in Zeitlupe geschah und unzählige ängstliche Gedanken durch sein zorniges Hirn stürmten. In der Zeit hatte er verstanden, daß Pharaoh von einer Kugel getötet worden war, hatte nach der Waffe gegriffen und gehört, wie die nächste Kugel die Scheibe mit einem spuckenden Laut
Weitere Kostenlose Bücher