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Kein König von Geburt

Kein König von Geburt

Titel: Kein König von Geburt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julian May
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die Lungen füllendem Kuß atmete sie mühelos, eingehüllt in warme Luft. Die Redakteurin stand schon mit der Kristallschüssel, einem seidenen Schwamm und Tüchern bereit. Immer noch schwebte das Neugeborene und zappelte ein wenig, während Mercy und Morna ihm den Schleim abwuschen, so daß seine Haut rosig und frisch wurde. Wieder küßte Mercy das Kind, und es war trocken. Die junge Olone trat mit Kleidungsstücken und einer Decke zum Einwickeln vor, und der kleine Körper wurde bis unter die Achseln umhüllt.
    Mercy nahm ihre Tochter auf den Arm und bot ihr die Brust. Das Baby war noch zu klein, um Milch zu saugen, aber sein Geist stand offen und trank, trank. Die Menge der von Ehrfurcht überwältigten Frauen wagte nicht, sich zu nähern - aber auf Mercys Ermutigung hin kam von vielen Seiten ein vorsichtiges, federleichtes mentales Streicheln.
    »Frieden - für die Namensgebung.« Mornas physische Stimme war leise, und doch hörte sie jeder im Audienzsaal. Die alte Frau hielt einen kleinen goldenen Reif hoch, und alles seufzte. Die drei jungen Damen waren starr vor Spannung. Wer würde erwählt werden?
    »Olone«, sagte Mercy und winkte mit ihrem Geist.
    Das Mädchen in der Kleidung der Koerzierergilde nahm das Kind hingerissen in die Arme. Du solltest mein sein! Wie süß du bist!
    »Ich nenne dich Agraynel ul-Mercy-Rosmar vur-Thagdal.« Morna legte dem Kindchen den goldenen Ring um den Hals und drehte den Verschluß zu. »Die gute Göttin gewähre dir ein langes Leben, Ehre und Glück in ihrem Dienst.«
    Slonshal, wisperten die Hunderte von weiblichen Gehirnen.
    Slonshal, seufzte Dionket Lord Heiler.
    Slonshal, sagte Mercy zu ihrer Tochter und nahm sie der widerstrebenden Olone ab. Zum ersten Mal seit der Flut und dem Verlust floß ihr Herz über vor Freude. Morna kam, um sie wegzuführen, und Mercy stellte ihr die spielerische Frage:
    Und du bist wirklich geeignet zur Königsmacherin, fernschauende Morna-Ia? Hast du das Gesicht? Und zeigt es dir diese süße Kleine als Königin? ...
    Die mentalen Stimmen in der Halle sangen das Lied, und die Töne waren so weich wie die einer Äolsharfe.
    »Ich sehe Agraynel als Königin unseres Vielfarbenen Landes. Ja.«
    Mercy stieß einen entzückten Schrei aus. »Wirklich? Oh, necke mich nicht!«
    Schweißtropfen standen auf der glatten Stirn der alten Frau. Ihre Lippen zitterten. »Ich spreche die Wahrheit. Ich erkannte sie, als Agraynel den ersten Atemzug tat.«
    Mercy stand still vor den Draperien an der Wand hinter der Estrade. Ihr Blick war wild, als habe sie eine Vision. Das Kindchen hatte sie fest gegen eine gerötete Wange gedrückt. Seine Augen wirkten riesig in dem winzigen Gesicht.
    »Und ihr König!« rief Mercy. »Wer wird er sein?«
    »Er ... er muß erst noch geboren werden.«
    »Aber du weißt, wer er ist? Wessen Sohn er sein wird?«, drängte Mercy. »Sag es mir, Morna! Du mußt es mir sagen!«
    Morna wich zurück, das Gesicht bleich, die Gedanken abgeschirmt. »Ich kann nicht!« stieß sie mit zitternder Stimme hervor. »Ich kann nicht.« Sie drehte sich um und floh durch den schweren Vorhang, und Mercy sah ihr verwundert nach. Dionket kam und legte schützend den Arm um die Mutter, und gleichzeitig stahl er sich in ihren ermüdeten Geist, um mit seiner redigierenden Fähigkeit die unvermeidliche Frage, die Sorge und die Furcht zu verbannen.
    Mercy vergaß.
    Das Baby kuschelte sich vorn in ihr Gewand und begann zu trinken, und für Mercy gab es nichts anderes mehr zu denken.

5
    Er erwachte von dem scheußlichen, nahrhaften Kuß.
    Sein Essen, vorgekaut und warm, ohne Geschmack, von ihrem Mund in seinen übergehend. Das Nachdrücken ihrer Zunge. Feuchte weibliche Finger, die seine Kehle massierten, bis er schlucken mußte. Ihr rhythmisches Summen auf zwei Tönen, genau auf seinen Herzschlag abgestimmt.
    Er roch das fleischige Aroma des Essens und ihren ungewaschenen Körper in dem Kleidungsstück aus halbgegerbtem Leder und Rauch und ringsherum Felsgestein. Er hörte neben ihrer Stimme ein fernes Murmeln von Wasser und ein widerhallendes Husten und Spucken. Und Vogelgesang. Und den harten Atem des Windes in Bergtannen.
    Seine Fernsicht war blind und sein Körper gelähmt, aber er konnte wenigstens die Augen öffnen. Es tat weh, obwohl das Licht gedämpft war. Ein leises Stöhnen entschlüpfte ihm. Das Summen hörte mit einem Schlag auf.
    »O Gott, bist du es?«
    Hängende Strähnen von sehr langem, sehr schmutzigem hellen Haar. Ein Gesicht, teigig-blaß

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