(K)ein Kuss ist auch (k)eine Loesung
Claire, sich auf die Arbeit zu konzentrieren. Die Frist für die Abgabe der Steuererklärung näherte sich zusehends und sorgte dafür, dass an Mandanten kein Mangel herrschte. Auch die Telefonate mit ihrer Familie heiterten sie zumindest ein wenig auf. Trotzdem fehlte Justin ihr einfach zu sehr, um länger als ein paar Minuten nicht an ihn zu denken. Selbst Moxie schien ihn zu vermissen. Sie patrouillierte regelmäßig vor der Wohnungstür und rieb sich an den Beinen des Stuhls, auf dem Justin immer gesessen hatte.
Am Morgen des Heiligen Abends rief eine gutgelaunte Judy Rutledge an, und lud Claire zum Frühstücken ein. Claire wollte schon Kopfweh vorschützen. Schließlich ging sie aber duschen, zog sich an, schminkte sich sogar leicht und fuhr dann zum Diner, um sich mit ihrer Schwiegermutter zu treffen.
Judy war bereits da, und Claire ging lächelnd an ihren Tisch. „Ich brauche literweise Kaffee“, sagte Claire zur Begrüßung.
Belohnt wurde sie mit einem mütterlichen Röntgenblick. „Du siehst auf jeden Fall so aus.“
„Du weißt ja, wie das ist, Judy. Klassische Feiertagserschöpfung. Der Hälfte meiner Mandanten ist gerade erst aufgefallen, dass wir das Ende des Jahres erreicht haben, und sie ihre Steuererklärung machen müssen. Jetzt bricht natürlich allgemeine Panik aus.“
„Ich hoffe doch sehr, du bist nicht zu beschäftigt, um heute Abend zu meiner Weihnachtsparty zu kommen!“
Die Party. Clairehätte am liebsten laut aufgestöhnt. Dann hätte sie es allerdings niemals aus dem Diner geschafft, ohne dass ihre Schwiegermutter aus ihr herausgequetscht hätte, was wirklich los war. Judy besaß einen Radar für die Gefühlslage anderer Menschen, und es war sinnlos, sich in Ausflüchte zu stürzen.
„Ich bin noch nicht sicher, ob ich es wirklich schaffe“, erklärte Claire, die noch nicht wusste, ob sie den Abend verkraften konnte. Entweder tauchte Justin ebenfalls auf, oder er kam ihretwegen nicht. In beiden Fällen würde sie sich mies fühlen – was ihrer Weihnachtsstimmung nicht unbedingt förderlich war.
„Bitte versuch es doch. Ohne dich ist es einfach nicht dasselbe.“
Die Kellnerin erschien an ihrem Tisch und ersparte Claire damit die Antwort. Dafür musste sie jetzt so tun, als hätte sie Hunger. Am besten nahm sie Bratkartoffeln und ein Omelette. Die konnte man auf dem Teller so hin und herschieben, dass es aussah, als hätte man viel mehr gegessen, als es tatsächlich der Fall war.
Nachdem sie schon halb mit dem Frühstück fertig waren und dabei etwas angestrengt Smalltalk geführt hatten, legte Judy die Gabel weg und musterte Claire misstrauisch. „Sag mir jetzt bitte, was mit dir los ist, Claire. Ich habe keine Lust, mir alle möglichen Horrorszenarien auszumalen.“
Claire schaute der Mutter ihres Mannes in die Augen und fand sich plötzlich tatsächlich in einem Horrorszenarium wieder. Es gab einfach keine Möglichkeit, ihr die Sache schonend beizubringen.
„Justin und ich … wir haben uns gestritten, sozusagen.“
„Ich habe mir schon gedacht, dass es etwas mit ihm zu tun hat. Er läuft nämlich auch rum wie Falschgeld.“ Judy trank einen Schluck Kaffee und machte ein nachdenkliches Gesicht. „Es ist bestimmt nicht schön, sich ausgerechnet kurz vor Weihnachten mit einem guten Freund zu streiten.“
Und ob, dachte Claire, nickte aber nur, weil es natürlich noch viel schlimmere Sachen gab, die einem passieren konnten. Schlimmer war es zum Beispiel gewesen, als Judy ihre Hand bei der Beerdigung so fest gedrückt hatte, dass sie schon glaubte, sie würde ihr die Knochen brechen.
„Claire.“ Judy unterbrach sich und spielte mit der Gabel in den Bratkartoffeln. „Ich hoffe, du weißt, dass Phil und ich dich lieben wie eine Tochter. Aber das bedeutet keinesfalls, dass wir erwarten, dass du den Rest deines Lebens um Brendan trauerst. Rede mit mir, Kind. Schütte mir dein Herz aus.“
„Es ist alles so kompliziert.“ Claire schüttelte den Kopf und starrte in ihre fast leere Kaffeetasse. „Justin und ich … Wir waren wohl beide einsam, und dann waren wir auf dieser Weihnachtsparty und haben was getrunken … Es ist einfach zu kompliziert.“
Sie hasste es, sich mit dem Alkohol herauszureden, weil das einfach nicht stimmte, aber es war unmöglich, die verworrene Situation zu erklären, in der Justin und sie sich befanden.
„Du bist in Justin verliebt.“
Die schlichte Feststellung, in der keinerlei Vorwurf mitschwang, schnürte Claire die Kehle zu und
Weitere Kostenlose Bücher