Kein Leben ohne Hund
Rinderhack, gezuckerte Hefebällchen.
Ruby und ich wachen drei Mal auf.
Sie geistert. Sie rutscht aus, knickt ein, grätscht wie ein Frosch.
Überall lehnt sie sich an. Sie starrt ins Nichts.
Die Entscheidung fällt um sechs Uhr früh.
Der Morgen dämmert.
Grau, diesig, zitternd.
Draußen ist der Januar, drinnen riecht es nach der warmen Asche des erloschenen Kamins.
Es war eine Nacht des Nachdenkens.
Es war eine Nacht des Nichtwollens.
Eine Nacht des Nein, Nein, Nein – das darf nicht sein. Ruby darf nicht sterben!
Es war eine verzweifelte Nacht.
Ruby ist am Leben, aber sie vegetiert dahin.
Ich streichle sie von oben.
Sie guckt mir in die Augen von unten.
Bittet sie?
Bettelt sie?
Leidet sie?
Ruby und ich haben nebeneinander geschlafen – Arm in Pfote.
Wir haben im Wohnzimmer vor dem Kamin ein kuschliges Lager aufgebaut.
Das ganze Rudel lag neben Ruby.
Ruby liegt immer noch erschöpft auf ihrem weißen Schaffell.
Sie knickt immer wieder in den Hinterpfoten ein.
Sie setzt sich auf den Po.
Sie schlabbert und trinkt und säuft.
Die tapsenden Krallen ihrer Pfoten hallen durchs Haus.
Ein Echo der Verlorenheit.
Abschied
Adieu, meine geliebte Ruby.
Kerzen. Dämmerung. Der Kamin knistert.
Ruby hat noch eine Stunde zu leben.
Ahnt sie es?
Ich streichle sie in der Küche unseres Hauses in Hamburg. Aber man kann Glück nicht festhalten.
Ruby ist müde vom Leben. Es war ein gutes Leben.
Ruby liegt auf ihrem weißen Lammfell vor ihrem Körbchen wie aufgebahrt.
Auch dem Ende liegt ein Zauber inne.
Wir waren noch mal auf ihrer alten Wiese, aber Ruby wollte wieder heim.
Es ist Zeit loszulassen.
Die Kinder schnäuzen sich. Nur die Spülmaschine ist zu hören.
Ein Hund, der 17 wird ohne Schmerzen, war ein glücklicher Hund.
Es ist zum Heulen.
Wie viel Freude hat Ruby uns geschenkt!
Ruby war lustig wie Otto, klug wie Einstein und frei wie Obama.
Ruby war unser Schutzengel.
Es ist eine Kunst, lächelnd zu sterben – wie der Philosoph Sokrates, der seinen Schierlingsbecher freudig trank. Ruby kann nicht mehr bellen.
Der Arzt, den Ruby liebt, ruft an, er kommt 20 Minuten später.
Ruby hat ein paar Minuten länger zu leben. Was machen wir?
Sie darf alles, was sie nie durfte. Teller auslecken, fette Leberwurstknödel fressen, Zuckerbomben verschlingen.
Plätzchen knabbern bis zum Platzen: Zehn Stück zerkleinern wir in 30 Stück.
Ruby spielt Pfotenfußball mit den Keksbrocken.
Aber ihre Pfoten knicken ein. Sie wankt.
Ich nehme sie in den Arm. Meine Hand hält ihr pochendes, altes, müdes Herz. Ich streichle sie, wie ich sie noch nie gestreichelt habe. Sie blickt mich an mit gläsernen Augen. Eine meiner Tränen tropft in ihr Auge.
Zwei Gefühle verschmelzen.
Das Ende
18 Uhr. Es klingelt.
Ich rufe die Kinder.
Ruby trottet wie ein rostiges Zirkuspferd um den Sandsteinblock der Küche. Immer wieder lehnt sie ihr Köpfchen an, um nicht umzufallen.
Ich gehe zur Tür. Unser Freund Dr. Fabian von Manteuffel steht mit einem silbern glänzenden Medikamentenkoffer vor der Tür.
Ich: »Du hättest auch später kommen können.«
Er: »Irgendwann muss ich kommen. Wir entscheiden nicht über Leben und Tod – sondern nur über welchen Tod, sanft oder schmerzlich.«
Ein paar Minuten der Ratlosigkeit. Wollen wir noch was trinken? Soll der Himmel noch warten?
Nein, es ist Zeit.
Wir setzen Ruby auf das große Schaffell vor ihrem Körbchen. Unsere drei Kinder knien sich nieder und streicheln sie. Frauchen hält sie fest. Ich hole eine große Kugel Tatar aus dem Eisschrank. Der Arzt klappt den Koffer auf und zieht eine Spritze auf: »Sie wird nichts spüren.«
Frauchen und ich füttern Ruby mit klein geformten Knödelchen des zarten, leichten Fleisches. Ruby hat Hunger. Ihre kaputten Zähne und ihre schnelle Zunge schlabbern das rohe Hack.
Ruby merkt nicht, wie ein grünes Band um ihre linke Vorderpfote gezurrt wird.
Die Finger des Arztes suchen zärtlich ihre Vene.
Ich packe einen großen Batzen des Tatars in meine Handmulde und Ruby schlabbert freudig wie ein junges Fohlen.
Die Nadel sticht.
Der Arztdaumen drückt.
Rubys Zunge hört auf zu schlecken. Ihr Köpfchen kippt. Ihre Augen blicken ins Leere.
Das Leben entweicht aus ihrem erschöpften Körper.
Frauchen öffnet ein Fenster, um Rubys Seele wegfliegen zu lassen.
Draußen geht groß und mystisch der Vollmond auf.
Unsere Kinder streicheln Ruby.
Ihr Fell ist warm, dick und flauschig.
Der Arzt steht auf und sagt: »Sie hat
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