Kein Leben ohne Hund
Mini-Schnitzel, die unsere Kinder übrig lassen.
An Heiligabend stapfen und schlittern wir in die Kirche. Die Gans brutzelt, die Knödel dampfen – und die acht Äuglein unserer Kinder – Ruby ist unser viertes Kind – werden leuchten.
Anruf in Hollywood
Der Tod kroch durchs Telefon.
10 000 Kilometer sind kurz wie ein Herzschlag.
Ich lag im Bett des Beverly-Hills-Hotels in Los Angeles. Es war der Tag nach den Golden Globes. Die Sonne blitzte. Die Palmen raschelten im streichelnden Wind des kühlen Pazifiks.
Der Kaffee dampfte. Der Orangensaft duftete. Das Telefon schnurrte.
Es war Frauchen. Ihre Stimme zitterte: »Ich glaube, Ruby stirbt. Sie kann nicht mehr stehen. Sie kippt dauernd um. Sie heult in der Nacht. Ich glaube, sie schafft es nicht mehr, bis du nach Hause kommst. Soll ich sie einschläfern lassen?«
Wenn das Leben am sonnigsten scheint, treffen dich seine Schatten.
Kai, unser Freund und Chef, simste eine SMS: »Brich Hollywood ab. Du wirst es ewig bereuen, wenn du die letzten Tage nicht an der Seite von Ruby bist. Das ist eine Anordnung!«
Es war so weit.
Ich packte. Ich schleppte die Koffer selbst. Ich stieg in das Taxi.
Die verzaubernde Scheinwelt Hollywoods glitt an mir vorbei.
Aber ich dachte nur an den kleinen Star meines Herzens.
Ich flog zum Sterben.
Wenn ein Hund stirbt, sterben viele Herzen.
Es ist auch das Sterben eines Herrchens.
Vieles wird plötzlich unwichtig.
Wichtig wird, was du spürst, fühlst und verlierst.
Die letzten Tage
Rubys Sonne sinkt.
Jedes Wort ist eine Träne.
Es geht zu Ende.
Rubys gläserner Blick schreit:
»Lasst mich gehen. Schenkt mir Ruhe. Der Himmel wartet. Es ist die Zeit gekommen.«
Der Tod kriecht durch die Pfoten.
Ruby schafft keine Stufe mehr. Ruby kippt auf dem Rasen um wie ein gefoulter Fußballer.
Ich habe meinen Hollywood-Besuch abgebrochen, um nach Hause zu fliegen.
Wir wollen die letzten Tage und Nächte im Rudel verbringen.
Die Bilder des Glücks laufen vor meinen tränenden Augen ab.
17 Jahre Freude, Treue, Lachen, Freundschaft.
Aber Ruby ist dement und lebt in der Welt der Schatten.
Der Kreislauf des Lebens lässt uns im Alter wieder zum Kind werden.
Ruby ist ein greises Baby, das mitternachts durchs Haus tapst und torkelt – und die Wand anstarrt.
Wenn sie umfällt, kommt sie auf dem glatten Parkett nicht mehr hoch. Ihr Herz rast. Sie zittert.
Nachts weint sie heulend wie ein Wolf.
Nachts stehe ich vor unserem Haus, das traurig glüht – Kerzen flackern.
Die Tür quietscht, das Parkett knarrt, die Küche duftet, meine Augen suchen den Hund meines Lebens.
Ein Schatten im Schatten bewegt sich.
Ruby sieht und hört fast nichts mehr, aber sie riecht, spürt und fühlt mich. Sie rappelt sich müde und staksig aus ihrem Körbchen und tapst rutschend über den polierten Holzboden auf mich zu. Sie schnüffelt an meinen Fingern.
Sie erkennt mich. Aber ich erkenne sie nicht mehr.
Ruby ist ein bibberndes Skelett. Ein Schatten auf vier Pfoten. Sie will nicht mehr. Sie quält sich.
Es ist die Zeit gekommen, Ruby gehen zu lassen.
Rubys letzte Nacht
Vollmond. Der Kamin lodert. Wir haben uns eine Bettenburg im Wohnzimmer gebaut. Wir, drei Kids, zwei Eltern, wollen unsere letzte Nacht mit Ruby zusammen verbringen.
Unser Kuschelhaus wird zum Hospiz.
Ein gemütlicher Todestrakt?
Morden wir – oder erlösen wir?
Die Nacht wird zur Harmonie.
Ich war noch nie so pausenlos und intensiv mit Ruby zusammen.
Ich liebe sie, ich streichle sie, ich spüre sie und fühle, wie sie leidet.
Ich decke sie zu und die Decke hebt und senkt sich.
Wenn sie liegt, ist alles geborgen und friedlich.
Ihre langen, eleganten Beine streckt sie zärtlich verflochten von sich wie eine erschöpfte Ballerina, die ahnt, dass die Zeit des Tanzens zu Ende geht.
Der Vorhang soll sich endlich senken.
Wenn Ruby schläft oder mit offenen Augen döst oder träumt,
ist alles gut.
Vielleicht könnte sie noch vier Wochen durchhalten – aber in Würde oder als sieches Wrack?
Sie ist autistisch statt authentisch.
Sie wankt wie ein angeschossener Star-Wars-Panzer.
Sie vegetiert.
»Lass Mäusi gehen«, fleht Frauchen.
Wenn sie liegt, wirkt sie glücklich.
Wenn sie geht, ist sie unglücklich
Wir genießen die letzten Momente zusammen.
Wir wissen, dass wir nichts wissen.
Der Tod ist sicher, das Danach ist dunkel oder hell.
Ein Teil von mir wird mit Ruby sterben – und im Mondlicht in den Himmel schweben.
Henkersmahlzeit?
Seezungen-Reste,
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