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Kein Lebenszeichen

Kein Lebenszeichen

Titel: Kein Lebenszeichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Coben
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»Du sagst, wir sollen zur Beerdigung, weil wir Sheila was schuldig sind. Und was ist mit Wanda?«
    »Will?«
    »Ja.«
    »Ich glaube, ich will nicht mehr darüber reden.«

48
    Der Morgenflug nach Boise verlief ohne besondere Vorkommnisse. Wir flogen von LaGuardia ab, einem Flughafen, der durchaus noch schlechter sein könnte, wozu es allerdings eines drastischen Eingriffs höherer Gewalt bedürfte. Ich hatte wie üblich einen Sitz in der Economy Class hinter einer kleinen alten Dame, die ihre Rückenlehne unbedingt während des gesamten
Fluges auf meine Knie drücken musste. Der Anblick grauer Haarfollikel und bleicher Kopfhaut – ihr Kopf lag praktisch in meinem Schoß – half, mich abzulenken.
    Squares saß rechts neben mir. Er las einen Artikel über sich selbst im Yoga Journal. Ab und zu nickte er beifällig und sagte: »Nur zu wahr. So bin ich.« Das machte er nur, um mich zu ärgern. Deshalb war er auch mein bester Freund.
    Ich hatte mich im Griff, bis das Schild WILLKOMMEN IN MASON, IDAHO in Sicht kam. Squares hatte einen Buick Skylark gemietet. Wir verfuhren uns zweimal. Selbst hier in der Provinz dominierten riesige Einkaufszentren die Landschaft. Alle bekannten Mega-Supermärkte waren vertreten – Chef Central, Home Depot, Old Navy – und vereinten das Land in überdimensionierter Monotonie.
    Die Kapelle war klein, weiß und gänzlich unspektakulär. Ich erkannte Edna Rogers. Sie stand alleine draußen und rauchte eine Zigarette. Squares hielt an. Mein Magen zog sich zusammen. Ich stieg aus. Das Gras war braun verbrannt. Edna Rogers sah zu uns herüber. Sie fixierte mich und stieß eine lange Rauchwolke aus.
    Ich ging auf sie zu. Squares blieb an meiner Seite. Ich fühlte mich hohl und ganz weit weg. Sheilas Beerdigung. Wir waren hier, um Sheila zu beerdigen. Der Gedanke lief immer wieder durch, wie das Bild bei einem defekten alten Fernsehapparat.
    Edna Rogers zog weiter an ihrer Zigarette; ihr Blick war hart, ihre Augen trocken. »Ich wusste nicht, ob Sie kommen«, sagte sie.
    »Ich bin hier.«
    »Haben Sie irgendwas über Carly erfahren?«
    »Nein«, sagte ich, was nicht ganz stimmte. »Und Sie?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Die Polizei interessiert sich nicht
besonders dafür. Sie sagen, nichts weist darauf hin, dass Sheila je ein Kind gehabt hat. Wahrscheinlich glauben die nicht mal, dass es sie überhaupt gibt.«
    An den Rest kann ich mich nur vage erinnern, als wäre es im Schnellvorlauf vonstatten gegangen. Squares unterbrach unser Gespräch und kondolierte. Andere Trauernde kamen auf uns zu. Es waren hauptsächlich Männer in dunklen Anzügen. Beim Zuhören stellte ich fest, dass die meisten mit Sheilas Vater zusammen in einer Firma arbeiteten, die automatische Garagentoröffner herstellte. Das kam mir merkwürdig vor, doch ich wusste in diesem Moment nicht, warum. Ich schüttelte noch mehr Hände und vergaß alle Namen sofort wieder. Sheilas Vater war ein großer, gut aussehender Mann. Er umarmte mich kräftig zur Begrüßung und ging dann zu seinen Kollegen. Sheila hatte einen Bruder und eine Schwester, beide jünger als sie, beide mürrisch und geistesabwesend.
    Wir warteten draußen vor der Kapelle, als fürchteten wir uns vor dem Beginn der Zeremonie. Die Trauergemeinde hatte sich in mehrere Grüppchen unterteilt. Die jüngeren Leute blieben bei Sheilas Geschwistern. Die Männer in Anzügen und mit breiten Krawatten standen im Halbkreis um Sheilas Vater herum, hatten die Hände in die Taschen gesteckt und unterhielten sich nickend. Die Frauen drängten sich an der Tür zusammen.
    Squares wurde angestarrt, doch das war er gewöhnt. Er hatte immer noch die staubigen Jeans an, trug dazu allerdings einen blauen Blazer und eine graue Krawatte. Er hätte ja einen Anzug angezogen, sagte er lächelnd, aber dann hätte Sheila ihn niemals erkannt.
    Schließlich bewegten sich die Trauernden langsam in die kleine Kapelle. Ich war überrascht, wie gut die Beerdigung besucht war, aber alle, mit denen ich sprach, waren der Familie
wegen gekommen, nicht wegen Sheila. Sie hatte sie schon vor langer Zeit verlassen. Edna Rogers schob sich neben mich und hakte ihren Arm unter meinen. Sie sah zu mir auf und rang sich ein tapferes Lächeln ab. Ich wurde nach wie vor nicht schlau aus ihr.
    Wir gingen als Letzte in die Kapelle. Es wurde geflüstert, wie »gut« Sheila aussah, wie »lebensecht«, einen Kommentar, den ich schon immer ausgesprochen gruselig gefunden habe. Ich bin kein religiöser Mensch, aber

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