Kein Lebenszeichen
in Verbindung bringt. Verstehst du?«
»Ja, klar«, sagte ich. Ich wartete ab, ob noch mehr kam. Er lächelte.
»Was?«
»Ich musste nur ans Ferienlager denken«, sagte er.
Ich lächelte auch.
»Mir hat’s hier sehr gefallen«, sagte er.
»Mir auch«, stimmte ich zu. »Ken?«
»Ja?«
»Wie hast du’s geschafft, so lange unentdeckt zu bleiben?«
Er lachte leise. Dann sagte er: »Carly.«
»Carly hat dir geholfen?«
»Mir hat geholfen, dass ich niemand von ihr erzählt hatte. Ich glaub, das hat mir das Leben gerettet.«
»Wieso?«
»Alle haben nach einem Kriminellen auf der Flucht gesucht. Also nach einem einzelnen Mann. Vielleicht noch nach einem Mann, der sich mit einer Frau zusammengetan hat. Aber keiner hat nach einer dreiköpfigen Familie gesucht – die konnte nach Belieben rumreisen und war für das Auge des Gesetzes unsichtbar.«
Klang auch wieder vernünftig.
»Das FBI hatte Glück, dass sie mich erwischt haben. Ich bin unvorsichtig geworden. Oder – ich weiß auch nicht, manchmal glaube ich sogar, ich wollte erwischt werden. Unser Leben, die ständige Angst, man konnte nie irgendwo Wurzeln schlagen … das nimmt einen mit, Will. Ihr habt mir alle gefehlt. Vor allem du. Vielleicht hab ich die Deckung runtergenommen. Oder es musste einfach endlich ein Ende haben.«
»Sie haben dich also in die USA ausgeliefert?«
»Ja.«
»Und ihr habt eine neue Abmachung getroffen.«
»Ich dachte, jetzt hängen sie mir den Mord an Julie auf jeden Fall an. Aber als ich mich mit Pistillo getroffen habe, war er immer noch hinter McGuane her. Julie war fast nur so eine Art Dreingabe. Und sie wussten, dass ich’s nicht gewesen bin. Also …« Er zuckte die Achseln.
Dann erzählte er von New Mexico und dass er dem FBI nie von Carly und Sheila erzählt hatte, weil das immer noch der beste Schutz für sie war. »Ich wollte nicht, dass sie so bald nachkommen«, sagte er, und seine Stimme wurde weicher. »Aber Sheila hat nicht auf mich gehört.«
Ken erzählte, dass er und Carly nicht zu Hause gewesen waren, als die beiden Männer auftauchten, dass er ins Haus gekommen
war und gesehen hatte, wie sie seine Geliebte folterten, dass er die beiden getötet hatte und wieder geflohen war. Er berichtete, wie er an derselben Telefonzelle angehalten und Nora in meiner Wohnung angerufen hatte – das musste der zweite Anruf gewesen sein, von dem das FBI erzählt hatte. »Ich wusste, dass sie hinter ihr her sein würden. Sheilas Fingerabdrücke überall im Haus. Wenn die vom FBI sie nicht gefunden hätten, dann womöglich McGuane. Also hab ich ihr gesagt, dass sie untertauchen muss. Nur so lange, bis alles vorbei ist.«
Es hatte ein paar Tage gedauert, bis Ken in Las Vegas einen diskreten Arzt gefunden hatte. Der Arzt hatte getan, was er konnte, doch es war zu spät gewesen. Sheila Rogers, seine Gefährtin der letzten elf Jahre, war am Tag darauf gestorben. Carly hatte hinten im Auto geschlafen, als ihre Mutter ihren letzten Atemzug tat. Weil er nicht wusste, was er sonst tun sollte – und weil er hoffte, dass der Druck auf Nora dadurch nachlassen würde –, hatte er die Leiche seiner Liebsten an einer Straße abgelegt und war weggefahren.
Melissa und Dad standen jetzt näher bei uns. Wir schwiegen eine Weile.
»Und dann?«, fragte ich leise.
»Ich hab Carly bei einer Freundin von Sheila abgesetzt. Einer Cousine, genau genommen. Ich wusste, dass sie da in Sicherheit ist. Dann hab ich mich auf den Weg nach Osten gemacht.«
Und als er das sagte, als die Worte, dass er sich auf den Weg nach Osten gemacht hätte, über seine Lippen kamen … da nahm alles die falsche Wendung.
Haben Sie so einen Moment schon einmal erlebt? Man hört aufmerksam zu, man nickt. Alles klingt ganz logisch und vernünftig, und dann fällt einem etwas auf, eine Kleinigkeit, die ganz unwichtig zu sein scheint, über die man eigentlich hinwegsehen
könnte – und dann wird einem mit wachsendem Erschrecken klar, dass alles hinten und vorne nicht stimmt.
»Moms Beerdigung war an einem Dienstag«, sagte ich.
»Was?«
»Moms Beerdigung war an einem Dienstag«, wiederholte ich.
»Stimmt«, sagte Ken.
»Da warst du in Las Vegas, oder?«
Er überlegte. »Ja, genau.«
Ich spielte das Ganze im Kopf noch einmal durch.
»Was ist denn los?«, wollte Ken wissen.
»Eins begreif ich nicht.«
»Was?«
»Am Nachmittag nach der Beerdigung …«, ich hielt inne, wartete, bis er mich ansah, und fixierte seinen Blick, »… bist du auf dem
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