Kein Lebenszeichen
Als Sheila nach Haverton gekommen war, habe ich sie zusammengebracht.
Julie ist auf die schiefe Bahn geraten. Sie hat dann auch für McGuane gearbeitet.«
So etwas Ähnliches hatte ich mir schon gedacht. »Sie hat Drogen verkauft?«
Er nickte. »Als ich dann erwischt worden war und mich bereit erklärt hatte, wieder mitzumischen, hab ich eine Freundin gebraucht – eine Komplizin, die mir hilft, McGuane ans Messer zu liefern. Anfangs hatten wir Angst, aber dann haben wir es als Ausweg gesehen. Es war eine Möglichkeit, uns reinzuwaschen, verstehst du?«
»Glaub schon.«
»Mir haben die damals jedenfalls genau auf die Finger geschaut. Julie nicht. Sie hatten keinen Grund, sie zu verdächtigen. Sie hat mir geholfen, belastendes Material rauszuschmuggeln. Wenn ich Bänder aufgenommen hatte, hab ich sie ihr gegeben. Deshalb haben wir uns an dem Abend getroffen. Wir hatten endlich genug Beweise zusammen. Wir wollten sie dem FBI übergeben und damit die Sache hinter uns bringen.«
»Das kapier ich nicht«, sagte ich. »Wieso habt ihr das ganze Zeug behalten? Wieso habt ihr’s nicht einfach nach und nach ans FBI weitergereicht?«
Ken lächelte. »Du hast doch mit Pistillo gesprochen?«
Ich nickte.
»Versteh mich nicht falsch, Will. Ich behaupte nicht, dass alle Cops korrupt sind oder so. Aber ein paar sind es schon. Einer von denen hat McGuane gesteckt, dass ich in New Mexico bin. Aber nicht nur das – manche, Pistillo zum Beispiel, sind einfach zu ehrgeizig. Ich brauchte eine Verhandlungsbasis. Ich konnte nicht einfach so aus der Deckung kommen. Ich musste die Bedingungen stellen, unter denen ich das Zeug übergebe.«
Das klang vernünftig. »Aber dann hat der Ghost rausgekriegt, wo du steckst.«
»Ja.«
»Wie?«
Wir kamen an einen Zaunpfahl. Ken stellte seinen Fuß auf die untere Strebe. Ich sah mich um. Melissa und Dad hielten weiter Abstand. »Weiß ich nicht, Will. Julie und ich haben solche Angst gehabt. Vielleicht hat das auch mit reingespielt. Wir waren jedenfalls auf der Zielgeraden. Ich dachte, gleich haben wir’s hinter uns. Wir waren im Keller, auf dem Sofa, und wir haben angefangen, uns zu küssen …« Er blickte wieder zur Seite.
»Und dann?«
»Dann hatte ich plötzlich einen Strick um den Hals.« Ken zog lange an seiner Zigarette. »Ich hab auf ihr gelegen, und der Ghost hatte sich angeschlichen. Dann hab ich plötzlich keine Luft mehr gekriegt. Er hat mich gewürgt. John hat heftig gezogen. Ich dachte, er bricht mir den Hals. Ich weiß gar nicht genau, was dann passiert ist. Ich glaube, Julie hat ihn geschlagen. So bin ich losgekommen. Er hat ihr ins Gesicht geschlagen. Ich hab mich losgerissen und wollte zurückweichen. Der Ghost hat eine Pistole gezogen und abgedrückt. Der erste Schuss hat mich an der Schulter getroffen.« Er schloss die Augen.
»Dann bin ich abgehauen. Gott steh mir bei, ich bin einfach abgehauen.«
Wir ließen die Nacht auf uns wirken. Ich hörte die Grillen, aber sie zirpten nur ganz leise. Ken zog weiter an seiner Zigarette. Ich wusste, was er dachte. Abgehauen. Und dann war sie umgekommen.
»Er hatte eine Waffe«, sagte ich. »Du konntest nichts machen.«
»Ja, klar.« Aber Ken wirkte nicht sehr überzeugt. »Den Rest kannst du dir wahrscheinlich denken. Ich bin zu Sheila zurück. Wir haben Carly eingepackt. Von meiner Zeit bei McGuane hatte ich noch Geld auf der hohen Kante. Wir sind getürmt und
dachten, McGuane und Asselta wären uns auf den Fersen. Erst ein paar Tage später, als ich in den Zeitungen als Mordverdächtiger genannt wurde, ist mir klar geworden, dass ich nicht nur vor McGuane auf der Flucht bin, sondern vor der ganzen Welt.«
Ich stellte die Frage, die mich von Anfang an beschäftigt hatte. »Warum hast du mir nichts von Carly erzählt?«
Sein Kopf zuckte zurück, als hätte ich ihm eine Rechte an den Unterkiefer verpasst.
»Ken?«
Er wich meinem Blick aus. »Können wir das erst mal beiseite lassen, Will?«
»Ich würd’s gern wissen.«
»Ist kein großes Geheimnis.« Seine Stimme klang jetzt seltsam. Ich hörte, wie sein Selbstvertrauen wieder zurückkam, doch irgendetwas war anders, ein bisschen schräg. »Es war ziemlich eng für mich. Das FBI hatte mich kurz vor ihrer Geburt erwischt. Ich hab mir Sorgen um sie gemacht. Also hab ich niemand von ihr erzählt. Absolut niemand. Ich hab sie oft besucht, aber wir haben nicht mal zusammen gewohnt. Carly war bei ihrer Mutter und Julie. Ich wollte nicht, dass man sie irgendwie mit mir
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