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Kein Lebenszeichen

Kein Lebenszeichen

Titel: Kein Lebenszeichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Coben
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hergestelltes Modell mit gepanzerten Türen und kugelsicheren, verspiegelten Fenstern, das ihn vierhundert Riesen gekostet hatte – und starrte auf die vorbeisausenden Fast-Food-Restaurants, Ramschläden und die veralteten Einkaufszeilen. In der rechten Hand hielt er einen Scotch mit Soda, den er sich gerade an der Bar der Limousine gemixt hatte. Er betrachtete den bernsteinfarbenen Drink. Er zitterte nicht. Das überraschte ihn.
    »Alles in Ordnung, Mr McGuane?«
    McGuane drehte sich zu seinem Begleiter um. Fred Tanner war riesig, fast so groß und massiv wie ein mehrstöckiges Stadthaus. Seine Hände erinnerten an Gullideckel, mit Fingern wie Würste. Aus seinem Blick sprach absolutes Selbstvertrauen. Tanner war von der alten Schule – er trug noch einen wie Schellack glänzenden Anzug und einen Ring am kleinen Finger. Den Ring trug er immer, ein protziges, überdimensioniertes, goldenes Ding, an dem er beim Sprechen herumspielte.

    »Alles bestens«, log McGuane.
    An der Parker Avenue bog die Limousine von der Route 22 ab. Tanner spielte weiter mit seinem Ring. Er war fünfzig, anderthalb Jahrzehnte älter als sein Boss. Sein Gesicht war ein verwittertes Monument aus harten Flächen und rechten Winkeln. Sein Haar war zu einem knappen Bürstenschnitt geschoren. McGuane wusste, dass Tanner verdammt gut war – ein kalter, disziplinierter und tödlicher Dreckskerl, für den Gnade ein ähnlich relevantes Konzept war wie etwa Feng-Shui. Tanner konnte meisterhaft mit seinen riesigen Händen und einer bunten Mischung unterschiedlicher Schusswaffen umgehen. Er war gegen ein paar der grausamsten Gegner angetreten und immer als Sieger hervorgegangen.
    Aber McGuane wusste, dass sie sich jetzt auf einer ganz anderen Ebene bewegten.
    »Wer ist der Kerl überhaupt?«, wollte Tanner wissen.
    McGuane schüttelte den Kopf. Sein Anzug war ein handgemachter Joseph Abboud. Er hatte drei Etagen in der Lower West Side in Manhattan gemietet. Früher hätte man McGuane vielleicht einen Consigliere, Capo oder eine ähnlich alberne Berufsbezeichnung vorangestellt. Doch die Zeiten sind längst vorbei. Die Tage der dunklen Hinterzimmer und der Velours-Trainingsanzüge waren Vergangenheit – eine Zeit, der Tanner zweifelsohne nachtrauerte. Heutzutage hatte man Büros und Sekretärinnen, und der Computer spuckte Monat für Monat eine Gehaltsliste aus. Man zahlte Steuern. Man betrieb legale Geschäfte.
    Aber man war kein bisschen besser.
    »Und warum fahren wir da überhaupt hin?«, fuhr Tanner fort. »Müsste der nicht zu Ihnen kommen?«
    McGuane antwortete nicht. Tanner hätte es sowieso nicht verstanden.

    Wenn der Ghost sich mit einem treffen will, dann trifft man sich mit ihm. Egal, wer man war. Wenn man sich weigerte, kam der Ghost zu einem. McGuane hatte ausgezeichnete Sicherheitskräfte. Hervorragende Leute. Aber der Ghost war besser. Er konnte warten. Er würde ihn studieren. Er würde auf eine günstige Gelegenheit warten. Und dann würde er ihn finden. Allein. Das wusste er.
    Nein, das brachte man am besten so schnell wie möglich hinter sich. Er fuhr lieber zu ihm.
    Einen Block vor dem Friedhof hielt die Limousine kurz an.
    »Haben Sie alles verstanden?«, fragte McGuane.
    »Einer von meinen Männern ist schon vor Ort. Ist alles vorbereitet.«
    »Warten Sie, bis ich das Zeichen gebe.«
    »Okay, alles klar. Das haben wir alles besprochen.«
    »Unterschätzen Sie ihn nicht.«
    Tanner öffnete die Tür. Der Goldring strahlte im Sonnenschein. »Nichts für ungut, Mr McGuane, aber er ist auch bloß ein Mensch, oder? Blutet genauso rot wie wir alle?«
    McGuane war sich da nicht so sicher.
    Tanner stieg aus. Für einen Mann seines Gewichts bewegte er sich recht graziös. McGuane lehnte sich zurück und nahm einen kräftigen Schluck von seinem Scotch. Er war einer der mächtigsten Männer New Yorks. Das wird man nicht – so weit bringt man es nicht –, wenn man nicht ein gerissenes und rücksichtsloses Arschloch ist. Sobald man Schwäche zeigt, ist man erledigt. Wer hinkt, stirbt. So einfach ist das.
    Und vor allem macht man niemals einen Rückzieher.
    McGuane wusste das alles – er wusste es ebenso gut wie jeder andere –, trotzdem wäre er in diesem Moment am liebsten abgehauen. Am liebsten hätte er alles eingepackt und wäre auf Nimmerwiedersehen verschwunden.

    Wie sein alter Freund Ken.
    McGuane begegnete dem Blick des Fahrers im Rückspiegel. Er atmete tief durch und nickte. Die Limousine setzte sich wieder in

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