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Kein Lebenszeichen

Kein Lebenszeichen

Titel: Kein Lebenszeichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Coben
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also geklärt«, sagte ich. »Und womit fangen wir an?«
    »Um ein altes Sprichwort zu zitieren«, sagte Squares, »bevor wir voranschreiten, müssen wir zurückschauen.«
    »Das hast du dir gerade ausgedacht.«
    »Stimmt.«
    »Klingt aber ziemlich vernünftig.«
    »Will?«
    »Ja?«
    »Das mag keine ganz neue Erkenntnis sein, aber wenn wir zurückschauen, könnte es sein, dass dir das, was wir da sehen, nicht gefällt.«
    »Davon muss ich wohl ausgehen«, stimmte ich zu.

    Squares setzte mich vor der Tür ab und fuhr zurück zum Covenant House. Ich betrat meine Wohnung und warf den Schlüsselbund auf den Tisch. Ich wollte schon Sheilas Namen rufen – nur um mich zu vergewissern, dass sie nicht nach Hause gekommen war –, aber die Wohnung wirkte so leer und verlassen, dass ich es bleiben ließ. Der Ort, den ich seit vier Jahren mein Zuhause nannte, kam mir irgendwie fremd vor. Alles wirkte schal und muffig, als wären die Räume seit langer Zeit unbewohnt.
    Und was jetzt?
    Das Beste war wohl, die Wohnung zu durchsuchen. Man braucht Anhaltspunkte, was auch immer das heißen sollte. Mir fiel allerdings sofort auf, wie spartanisch Sheila gelebt hatte. Sie
hatte sich über einfache, manchmal sogar scheinbar banale Dinge gefreut, und diese Haltung hatte auf mich abgefärbt. Sie hatte nur sehr wenige Besitztümer angesammelt. Für ihren Umzug hatten wir nur einen Koffer gebraucht. Sie war nicht arm – ich hatte ihre Kontoauszüge gesehen, und für Miete und Nebenkosten hatte sie mehr als ihren Anteil bezahlt –, aber sie gehörte zu den Menschen, die sich den Grundsatz »Eigentum ergreift Besitz von dir, nicht umgekehrt« zu Eigen gemacht hatten. Jetzt fragte ich mich, ob das stimmte oder ob Eigentum nicht so sehr Besitz von einem ergreift, sondern einem nicht vielmehr Halt gibt, so dass man dadurch irgendwo verwurzelt ist.
    Mein Amherst-College-Sweatshirt in Größe XXL lag auf einem Stuhl im Schlafzimmer. Als ich es in die Hand nahm, spürte ich einen Stich in meiner Brust. Letzten Herbst waren wir zum Ehemaligentreffen an meiner alten Uni gewesen. Auf dem Campus gibt es einen Hügel, einen steilen Hang, der oben bei einem klassischen New-England-Geviert anfängt und zu einer weiten Ebene mit Sportplätzen abfällt. Die meisten Studenten nennen ihn in einem Anfall von Originalität den Hill.
    Spätabends war ich mit Sheila Hand in Hand über den Campus gegangen. Wir hatten uns am Hill aufs weiche Gras gelegt, den Herbsthimmel betrachtet und uns stundenlang unterhalten. Ich weiß noch, wie ich dachte, dass ich noch nie eine solche Ruhe in mir verspürt hatte, so viel Frieden, Behaglichkeit und, ja, Lebensfreude. Während wir noch auf dem Rücken lagen, hatte Sheila mir dann die Hand auf den Bauch gelegt und sie, den Blick weiter auf die Sterne gerichtet, unter meinen Hosenbund geschoben. Ich hatte mich nur ein kleines bisschen zu ihr umgedreht und ihr ins Gesicht gesehen. Als ihre Finger, äh, auf die Goldader stießen, grinste sie verrucht.
    »Machen wir’s wie früher auf dem College«, hatte sie gesagt.
    Na ja, vielleicht war ich nur geil wie ein alter Bock, aber in
diesem Augenblick, da am Hill, ihre Hand in meiner Hose, war mir zum ersten Mal etwas wirklich klar geworden, und ich hatte mit einer fast übernatürlichen Gewissheit erkannt, dass sie diejenige war, mit der ich den Rest meines Lebens verbringen wollte, dass die Schatten meiner ersten Geliebten, meiner einzigen Geliebten vor Sheila, die mich jahrelang verfolgt und andere vertrieben hatten, endlich verschwunden waren.
    Ich betrachtete das Sweatshirt, und einen Moment lang meinte ich den Duft von Geißblatt und feuchtem Laub zu riechen.
    Ich drückte es an mich und fragte mich zum x-ten Mal seit meinem Gespräch mit Pistillo: War das alles nur eine einzige Lüge gewesen?
    Nein.
    So etwas kann man nicht vortäuschen. Squares mochte Recht haben, dass in jedem Menschen Gewaltbereitschaft steckt. Aber eine Beziehung wie die unsere kann man sich nicht vorgaukeln.
    Die Notiz lag noch auf dem Sideboard.
     
    Ich werde dich immer lieben.
    S
     
    Das musste ich glauben. Ich war es Sheila schuldig. Ihre Vergangenheit war ihre Sache. Die ging mich nichts an. Egal was geschehen war, Sheila musste ihre Gründe gehabt haben. Sie liebte mich. So viel wusste ich. Meine Aufgabe war jetzt, sie zu finden, ihr zu helfen, ihr die Möglichkeit zu geben, wieder zurückzukommen … ich weiß nicht … zu uns.
    Ich würde die Zweifel nicht die Oberhand gewinnen lassen.
    Ich

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