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Kein Lebenszeichen

Kein Lebenszeichen

Titel: Kein Lebenszeichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Coben
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unserem Haus ankam, standen keine Wagen vor der Tür und es waren keine Trauergäste im Haus. Das kam nicht sehr überraschend. Ich rief nach meinem Vater. Keine Antwort. Ich fand ihn allein im Keller, mit einem Teppichmesser in der Hand. Er stand mitten im Raum zwischen alten Kleiderkartons. Die Klebebänder waren aufgeschnitten. Dad stand stocksteif zwischen den Kartons. Er drehte sich nicht um, als er meine Schritte hörte.
    »Da ist schon so viel weggepackt«, sagte er leise.
    Es waren alte Kleiderkartons meiner Mutter. Mein Vater griff in einen und zog ein schmales silberglänzendes Stirnband heraus. Er drehte sich zu mir um und hielt es hoch. »Erinnerst du dich noch daran?«
    Wir lächelten. Wahrscheinlich machen alle Menschen ihre Modephasen durch. Allerdings nicht so extrem wie meine Mutter. Sie hat die Mode bei uns gemacht, hat sie bestimmt und ist mit ihr verschmolzen. So gab es zum Beispiel die Stirnband-Ära. Sie hatte sich die Haare wachsen lassen und hatte ein Potpourri vielfarbiger Bänder getragen, wie eine Indianerprinzessin. Mehrere Monate lang – ich würde sagen, die Stirnband-Ära dauerte etwa sechs Monate – ging sie nie ohne aus dem Haus. Als die Stirnbänder ihren wohlverdienten Ruhestand antraten, steuerte die Wildleder-Fransen-Periode ihrem Höhepunkt entgegen. Danach folgte die Lila-Renaissance – nicht unbedingt meine Lieblingsmode, wie ich Ihnen versichern kann, hatte man doch den Eindruck, mit einer riesigen Aubergine oder einem Jimi-Hendrix-Groupie zusammenzuleben – und dann die Reitgerten-Zeit – bei einer Frau, deren engste Verbindung zum Reiten darin bestand, dass sie Elizabeth Taylor mehrmals in Kleines Mädchen, großes Herz gesehen hatte.
    Die Modephasen fanden – wie so vieles andere – mit Julie Millers Ermordung ein jähes Ende. Mom – Sunny – hatte die Kleidung
eingemottet und in der hintersten Ecke des Kellers verstaut.
    Dad warf das Stirnband wieder in den Karton. »Wir wollten umziehen, weißt du?«
    Davon hatte ich nichts gewusst.
    »Vor drei Jahren. Wir wollten uns eine Wohnung in West Orange kaufen, und vielleicht noch was Kleines für den Winter in Scottsdale in der Nähe von Cousine Esther und Harold. Aber als sich dann herausgestellt hat, dass deine Mutter krank war, haben wir es bleiben lassen.« Er sah mich an. »Hast du Durst?«
    »Eigentlich nicht.«
    »Wie wär’s mit einer Cola Light? Ich kann eine brauchen.«
    Dad ging an mir vorbei zur Treppe. Ich sah die alten Kartons an, die meine Mutter mit einem dicken Filzstift beschriftet hatte. Hinten im Regal lagen zwei von Kens alten Tennisschlägern. Der eine war sein erster gewesen. Damit hatte er gespielt, als er erst drei Jahre alt war. Mom hatte ihn aufgehoben. Ich drehte mich um und folgte meinem Vater. In der Küche öffnete er die Kühlschranktür.
    »Erzählst du mir, was gestern los war?«, fing er an.
    »Ich weiß nicht, was du meinst.«
    »Zwischen dir und deiner Schwester.« Dad holte eine Zwei-Liter-Flasche Cola Light heraus. »Worum ging’s da eigentlich?«
    »Um gar nichts«, sagte ich.
    Mit einem Nicken öffnete er den Geschirrschrank. Er nahm zwei Gläser heraus, ging zum Gefrierschrank und gab etwas Eis hinein. »Dich und Melissa hat deine Mutter immer belauscht«, sagte er.
    »Ich weiß.«
    »Sie war nicht sehr taktvoll. Ich hab ihr immer wieder gesagt, sie soll damit aufhören, aber sie hat nur gemeint, das würde zu den Aufgaben einer Mutter gehören.«

    »Du hast gesagt, Melissa und mich.«
    »Ja.«
    »Warum Ken nicht?«
    »Vielleicht wollte sie’s nicht wissen.« Er schenkte die Cola ein. »Du fragst in letzter Zeit häufig nach deinem Bruder.«
    »Ist doch eine ganz logische Frage.«
    »Natürlich, vollkommen logisch. Und nach der Beerdigung hast du mich gefragt, ob ich glaube, dass er noch am Leben ist. Und am nächsten Tag streitest du dich mit Melissa über ihn. Also frag ich jetzt noch einmal: Was ist los?«
    Ich hatte das Foto noch in der Tasche. Fragen Sie mich nicht, warum. Am Morgen hatte ich mit dem Scanner Farbkopien gemacht. Aber ich konnte es einfach nicht aus der Hand geben.
    Als es an der Tür klingelte, schraken wir beide zusammen. Wir sahen uns an. Dad zuckte die Achseln. Ich sagte, ich wolle aufmachen. Ich nahm einen schnellen Schluck von meiner Cola Light und stellte sie wieder auf den Tresen. Ich ging zur Haustür. Als ich sie öffnete und sah, wer es war, wäre ich fast aus den Latschen gekippt.
    Mrs Miller. Julies Mutter.
    Sie streckte mir eine in

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