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Kein Lebenszeichen

Kein Lebenszeichen

Titel: Kein Lebenszeichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Coben
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Mensch, ja? Er hat einen Namen. Er hat eine Mutter. Er wurde in diesem Land geboren. Und …«, Abe lächelte und gestikulierte theatralisch, »… er hat eine Sozialversicherungsnummer. Vielleicht hat er sogar einen Führerschein, auch wenn der womöglich schon abgelaufen ist. Egal. Sobald er eine Sozialversicherungsnummer hat, existiert er. Er hat eine Identität. Verstehen Sie?«
    »Ich verstehe.«
    »Also sagen wir, er braucht ein bisschen Geld. Wofür, das will ich gar nicht wissen. Auf jeden Fall braucht er Geld. Aber auf eine Identität kann er durchaus verzichten. Schließlich lebt er auf der Straße, was soll er da mit einer Identität? Er hat
ja keine Kreditkarte und keinen Grundbesitz. Wir geben also seinen Namen in unseren kleinen Computer hier ein.« Er tätschelte den Monitor. »Wir sehen nach, ob er vielleicht gesucht wird. Wenn nicht – und die meisten werden nicht gesucht –, kaufen wir seine Identität. Sagen wir, er heißt John Smith. Und nehmen wir mal an, Sie, Will, müssen unter einem anderen Namen als Ihrem eigenen in einem Hotel einchecken oder so.«
    Ich begriff, worauf er hinauswollte. »Sie verkaufen mir seine Sozialversicherungsnummer, und ich werde John Smith.«
    Abe schnippte mit den Fingern. »Bingo.«
    »Aber wenn wir uns nicht ähnlich sehen?«
    »Ihre Sozialversicherungsnummer ist nicht an eine Personenbeschreibung gekoppelt. Und wenn Sie die Nummer erst mal haben, können Sie zu jeder Behörde gehen und sich die erforderlichen Papiere ausstellen lassen. Wenn Sie es ganz eilig haben, kann ich Ihnen hier mit meiner Ausrüstung einen Führerschein des Bundesstaats Ohio anfertigen. Einer eingehenden Überprüfung hält der zwar nicht stand. Aber das Wichtige ist, dass Ihre Identität ihr standhält.«
    »Und was passiert, wenn unser John Smith einen Job kriegt und eine Identität braucht?«
    »Dann benutzt er sie auch. Kein Problem, die können auch fünf Leute gleichzeitig benutzen. Das merkt kein Mensch. Ist doch ganz einfach, finden Sie nicht?«
    »Allerdings«, stimmte ich zu. »Sheila ist also zu Ihnen gekommen.«
    »Ja.«
    »Wann?«
    »So vor zwei oder drei Tagen. Wie schon gesagt, sie entsprach nicht unserem üblichen Kundenprofil. Sie war eine so nette Frau. Und so schön.«

    »Hat sie Ihnen erzählt, wo sie hinwollte?«
    Abe lächelte und legte mir die Hand auf den Arm. »Sieht das hier aus wie ein Geschäft, in dem man viele Fragen stellt? Die Kunden wollen nichts sagen, und ich will’s nicht wissen. Wissen Sie, wir reden nie über so was. Kein Wort. Sadie und ich haben einen gewissen Ruf, und wie ich oben schon sagte: Ein loses Mundwerk kann einen umbringen. Verstehen Sie?«
    »Ja.«
    »Anfangs haben wir auch wirklich keinen Mucks von uns gegeben, als Raquel sich umgehört hat. Diskretion. Darum geht’s in diesem Geschäft. Wir mögen Raquel. Trotzdem haben wir nichts gesagt. Kein Wort.«
    »Und warum haben Sie es sich anders überlegt?«
    Abe wirkte beleidigt. Er sah erst Squares an, dann wieder mich.
    »Halten Sie uns für Tiere? Glauben Sie, wir haben keine Gefühle?«
    »Ich wollte nicht …«
    »Der Mord«, unterbrach er mich. »Wir haben gehört, was mit der Armen passiert ist. Ja?« Er warf die Hände in die Luft. »Aber was sollte ich machen? Ich kann ja nicht zur Polizei gehen. Außerdem vertraue ich Raquel und Mr Squares. Sie sind gute Menschen. Sie leben in der Dunkelheit, aber da leuchten sie wie Sterne. Wie Sadie und ich, verstehen Sie?«
    Die Tür über uns wurde geöffnet und Sadie kam herunter. »Ich hab abgeschlossen«, sagte sie.
    »Gut.«
    »Worüber sprecht ihr gerade?«, fragte sie ihn.
    »Ich hab ihm erzählt, warum wir vielleicht bereit sind zu reden.«
    »Okay.«

    Vorsichtig kam Sadie Goldberg die Treppe herunter. Abe sah mich mit seinen Eulenaugen an und sagte: »Mr Squares hat uns erzählt, dass es da noch ein kleines Mädchen gibt.«
    »Ihre Tochter«, sagte ich. »Sie müsste ungefähr zwölf sein.«
    »Ts, ts«, sagte Sadie. »Und Sie wissen nicht, wo sie ist.«
    »Das stimmt.«
    Abe schüttelte den Kopf. Sadie trat zu ihm. Ihre Körper berührten sich, sie schienen fast ineinander zu passen. Ich fragte mich, wie lange sie schon verheiratet waren, ob sie Kinder hatten, woher sie stammten, wie sie hierher gekommen und in dieses Geschäft geraten waren.
    »Soll ich Ihnen was sagen?«, fragte Sadie mich.
    Ich nickte.
    »Ihre Sheila hatte …«, sie streckte beide Fäuste in die Luft, »… was Besonderes an sich. Eine Ausstrahlung. Sie war

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