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Kein Lebenszeichen

Kein Lebenszeichen

Titel: Kein Lebenszeichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Coben
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kurz darüber nach. »Das stimmt wohl.«
    »Mom?«
    »Ja.«
    »Warum seid ihr hier geblieben?«
    Im ersten Augenblick dachte sie, ihre Mutter würde sie wie üblich zurückweisen und nicht darüber sprechen. Doch seit Wills Überraschungsbesuch am Straßenrand und ihrem Beileidsbesuch am Haus der Kleins war sowieso alles ein bisschen komisch. Ihre Mutter setzte sich auf einen Karton. Sie strich sich den Rock glatt.
    »Wenn einen so eine Tragödie trifft«, begann ihre Mutter, »ich meine, beim ersten Schlag, denkt man, die Welt geht unter. Man fühlt sich wie im Sturm auf offener See. Die Wellen schleudern einen herum und brechen mit aller Macht auf einen herein, und man kann nichts tun, nur versuchen, den Kopf über Wasser zu halten. Und zum Teil – vielleicht sogar zum größten Teil – will man das noch nicht mal. Man will aufhören
zu kämpfen und einfach untergehen. Aber das kann man nicht. Der Überlebensinstinkt lässt einen nicht – oder vielleicht hat es bei mir auch daran gelegen, dass ich noch ein Kind hatte, um das ich mich kümmern musste. Ich weiß es nicht. Auf jeden Fall bleibt man irgendwie oben, ob man will oder nicht.«
    Ihre Mutter wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel. Sie richtete sich etwas auf und lächelte gezwungen. »Der Vergleich hinkt«, sagte sie.
    Katy nahm die Hand ihrer Mutter. »Ich find ihn ziemlich gut.«
    »Möglich«, räumte Mrs Miller ein, »aber der Sturm ist dann irgendwann vorbei. Und danach wird es sogar noch schlimmer. Vielleicht kann man es so sehen, dass man ans Festland getrieben wird. Aber die Herumschleuderei hat irreparablen Schaden angerichtet. Man hat unbeschreibliche Schmerzen. Und trotzdem ist es noch lange nicht vorbei. Denn dann hat man nur zwei grässliche Möglichkeiten.«
    Katy drückte die Hand ihrer Mutter und wartete.
    »Man kann versuchen, den Schmerz zu überwinden. Dazu muss man das Leid vergessen und weiterleben. Aber für deinen Vater und mich …«, Lucille Miller schloss die Augen und schüttelte entschlossen den Kopf, »… hätte Vergessen etwas Obszönes gehabt. Es wäre Verrat an deiner Schwester gewesen. Unser Schmerz war zwar riesig, aber wie hätten wir weiterleben sollen, wenn wir Julie aufgegeben hätten? Sie hat gelebt. Sie war bei uns. Ich weiß, dass das Blödsinn ist.«
    Oder vielleicht auch nicht, dachte Katy.
    Sie blieben schweigend sitzen. Schließlich ließ Lucille Miller Katys Hand los. Sie klopfte sich auf die Schenkel und stand auf. »Ich lass dich jetzt allein.«
    Katy lauschte ihren Schritten. Dann drehte sie sich zu dem
Koffer um. Sie wühlte sich durch den Inhalt. Sie brauchte fast eine halbe Stunde, aber dann hatte sie es.
    Und nichts war mehr wie vorher.

29
    Als wir wieder im Bus waren, fragte ich Squares, was wir jetzt tun sollten.
    »Ich habe da einen Informanten«, sagte er, was wohl das größte Understatement war, das mir je zu Ohren gekommen ist. »Wir suchen den Namen Donna White in den Computern der Fluggesellschaften und versuchen rauszukriegen, wann sie hier weggeflogen ist, wo sie war und so weiter.«
    Wir schwiegen.
    »Einer muss es sagen«, fing Squares an.
    Ich starrte meine Hände an. »Dann schieß los.«
    »Was hast du vor, Will?«
    »Ich suche Carly«, erwiderte ich zu schnell.
    »Und dann? Willst du sie als dein eigenes Kind aufziehen?«
    »Ich weiß es nicht.«
    »Dir ist doch klar, dass du mit dieser Geschichte deinen Schmerz verdrängst.«
    »Genau wie du.«
    Ich sah aus dem Busfenster. Das Viertel war voller Müll. Wir fuhren durch Sozialbausiedlungen, in denen das Elend verwahrt wurde. Ich hielt nach etwas Positivem Ausschau. Ich fand nichts.
    »Ich wollte ihr einen Heiratsantrag machen«, sagte ich.
    Squares fuhr weiter, doch ich sah, wie er die Schultern sinken ließ.
    »Ich hatte einen Ring gekauft. Und ihn auch schon meiner
Mutter gezeigt. Ich wollte nur noch ein bisschen abwarten. Nach dem Tod meiner Mutter und …«
    Wir hielten vor einer roten Ampel. Squares sah mich nicht an.
    »Ich muss weitersuchen«, sagte ich, »weil ich nicht weiß, was ich machen soll, wenn ich das nicht tue. Ich denke nicht an Selbstmord oder so, aber wenn ich jetzt einfach abwarte –«, ich brach ab, überlegte, wie ich es sagen sollte, und entschied mich für die schlichte Lösung, »… dann holt es mich ein.«
    »Irgendwann wird es dich sowieso wieder einholen, egal, was du machst«, sagte Squares.
    »Ich weiß. Aber bis dahin habe ich vielleicht was Gutes getan. Vielleicht habe ich ihre Tochter

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