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Kein Lebenszeichen

Kein Lebenszeichen

Titel: Kein Lebenszeichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Coben
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älteren Schwester gegangen war und was aus ihr geworden war. »Sie hat mich gebeten, dich anzurufen.«
    »Wo liegt das Problem?«
    »Ich habe Katy auf dem Mount-Pleasant-Spielplatz gefunden, mit einer halb leeren Flasche Wodka. Sie ist völlig besoffen. Ich wollte bei ihren Eltern anrufen …«
    »Das können Sie vergessen!«, rief Katy. »Ich bin volljährig.«
    »Schon klar. Tja, sie hat mich jedenfalls gebeten, bei dir anzurufen. Hey, ich weiß noch, wie wir jung waren. Wir waren schließlich auch nicht perfekt, verstehst du?«
    »Ja«, sagte ich.
    Und genau da rief Katy etwas, und ich erstarrte. Ich hoffte, ich hätte mich verhört.
    Doch ihre Worte und die fast spöttische Art, wie sie sie herausschrie, griffen mir wie eine kalte Hand in den Nacken.
    »Idaho!«, schrie sie. »Stimmt’s, Will? Idaho!«

    Ich umklammerte den Hörer und war überzeugt, dass ich mich verhört hatte. »Was sagt sie?«
    »Ich weiß auch nicht. Sie schreit immer irgendwas von Idaho, aber sie ist auch wirklich ziemlich hinüber.«
    Wieder Katy. »Scheiß-Idaho! Der Kartoffelstaat! Idaho! Stimmt doch, oder?«
    Mein Atem ging flach.
    »Hör zu, Will, ich weiß, dass es spät ist, aber kannst du vorbeikommen und sie abholen?«
    Ich fand meine Stimme so weit wieder, dass ich sagen konnte: »Bin schon unterwegs.«

31
    Squares schlich lieber die Treppe hinauf, als Gefahr zu laufen, Wanda durch das laute Fahrstuhlgeräusch zu wecken. Das Haus gehörte der Yoga Squared Corporation. Er wohnte mit Wanda in den beiden Etagen über dem Studio. Es war drei Uhr morgens. Squares schob die Tür auf. Es brannte kein Licht. Er trat in den Raum, der schattenhaft im fahlen Schein der Straßenlaternen lag.
    Wanda saß mit verschränkten Armen im Lotussitz im Dunkeln auf der Couch.
    »Hey«, sagte er ganz leise, als befürchtete er, jemanden zu wecken, obwohl außer ihnen niemand im Gebäude war.
    »Willst du, dass ich es wegmachen lasse?«, fragte sie.
    Squares wünschte, er hätte seine Sonnenbrille aufbehalten. »Ich bin echt müde, Wanda. Lass mich einfach ein paar Stunden schlafen.«
    »Nein.«
    »Was soll ich jetzt dazu sagen?«

    »Es sind noch keine drei Monate. Ich brauche nur eine Pille zu schlucken. Also sag schon. Willst du es loswerden?«
    »Jetzt ist es also auf einmal meine Entscheidung?«
    »Ich warte.«
    »Ich dachte, du bist die große Feministin, Wanda. Was ist mit dem Recht auf deinen eigenen Bauch?«
    »Komm mir nicht mit dem Scheiß.«
    Squares steckte die Hände in die Hosentaschen. »Was willst du denn?«
    Wanda wandte den Kopf ab. Er sah ihr Profil, den langen Hals, die stolze Haltung. Er liebte sie. Nie zuvor hatte er jemanden geliebt, und er war auch noch nie geliebt worden. Als er sehr klein gewesen war, hatte seine Mutter ihn oft mit ihrem Lockenstab verbrannt. Als er zwei war, hatte sie plötzlich damit aufgehört – zufälligerweise genau an dem Tag, als ihr Vater sie totgeprügelt und sich in der Abstellkammer erhängt hatte.
    »Du trägst deine Vergangenheit auf der Stirn«, sagte Wanda. »Den Luxus können wir uns nicht alle leisten.«
    »Was willst du damit sagen?«
    Keiner von ihnen hatte das Licht eingeschaltet. Ihre Augen gewöhnten sich an die Dunkelheit, doch im düsteren Zwielicht verschwamm alles. Vielleicht war es leichter so.
    Wanda sagte: »Ich habe bei meinem High-School-Abschluss die Festrede gehalten.«
    »Ich weiß.«
    Sie schloss die Augen. »Lass mich einfach erzählen, okay?«
    Squares nickte.
    »Ich bin in einem wohlhabenden Vorort aufgewachsen. Da gab es nur wenige Farbige. In meinem Jahrgang war ich die einzige Schwarze unter rund dreihundert Schülern. Und ich war die Beste. Ich hatte die freie Wahl zwischen sämtlichen amerikanischen
Colleges und habe mich für Princeton entschieden.«
    Das wusste er alles, aber er sagte nichts.
    »Dort dachte ich dann, ich könnte nicht mithalten. Ich erspare dir die ausführliche Diagnose über den Mangel an Selbstwertgefühl und so weiter. Jedenfalls habe ich aufgehört zu essen. Ich habe abgenommen und bin magersüchtig geworden. Ich habe nichts zu mir genommen, was ich nicht wieder von mir geben konnte. Ich habe den ganzen Tag Sit-ups gemacht. Ich habe keine vierzig Kilo mehr gewogen und konnte trotzdem beim Blick in den Spiegel die fette Kuh nicht ausstehen, die mich da ansah.«
    Squares trat näher an sie heran. Er wollte nach ihrer Hand greifen. Aber blöd wie er war, ließ er es bleiben.
    »Ich habe so lange gehungert, bis sie mich ins Krankenhaus

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