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Kein Lebenszeichen

Kein Lebenszeichen

Titel: Kein Lebenszeichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Coben
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Ermittlungen.
    Wir parkten vor dem Chi-Gamma-Gebäude. Obwohl ich viel zu selten vom Amherst College hergekommen war, erinnerte ich mich noch an das Haus. Man sah sofort, dass es einer Studentinnenverbindung gehörte. Es war weiß gestrichen und hatte einen Vorbau mit pseudo-griechisch-römischen Säulen und sanft verschnörkelte Kanten, die dem ganzen Bau einen femininen Touch gaben. Irgendwie erinnerte es an eine Hochzeitstorte.

    Rose Bakers Wohnsitz war, um es vorsichtig auszudrücken, etwas bescheidener. Das kleine Haus war wohl ursprünglich im Cape-Cod-Stil erbaut worden, hatte aber im Laufe der Zeit seinen Charakter verloren. Das frühere Rot wirkte jetzt stumpf und lehmfarben. Die Spitzengardinen vor den Fenstern sahen aus wie von Katzen zerfetzt. Außerdem waren so viele Schindeln von den Wänden gefallen, dass es aussah, als würde das Haus unter schwerer Seborrhö leiden.
    Unter normalen Umständen hätte ich mich vorher irgendwie angekündigt. Im Fernsehen machen sie das nie. Der Polizist kommt einfach vorbei und die fragliche Person ist auch immer zu Hause. Ich fand das immer unrealistisch und etwas plump, jetzt jedoch verstand ich es gerade etwas besser. Erstens hatte die schwatzhafte Dame im Anmeldebüro mir erzählt, dass Rose Baker nur selten das Haus verließ und selbst dann meist nicht weit ging. Zweitens – und das war wohl wichtiger –, wenn ich Rose Baker anrief und sie fragte, was ich von ihr wollte, was hätte ich dann sagen sollen? Hi, ich möchte mich mit Ihnen über einen Mord unterhalten? Nein, da stand ich lieber überraschend mit Katy vor der Tür, und wir schauten einfach mal, was dabei herauskam. Wenn sie nicht da war, konnten wir immer noch in die Bibliothek gehen und uns die Archive ansehen oder uns im Haus der Studentinnenverbindung umhören. Ich hatte keine Ahnung, inwiefern uns das weiterhelfen sollte, aber genau genommen waren wir ohnehin im Blindflug unterwegs.
    Als wir Rose Bakers Tür erreichten, verspürte ich einen gewissen Neid auf die rucksacktragenden Studenten auf dem Campus. Ich war gern aufs College gegangen. Alles, was mit dem College zu tun hatte, hatte ich gern gemacht. Ich hatte gern mit schlampigen, faulen Freunden herumgelungert. Ich hatte gern allein gelebt, zu selten Wäsche gewaschen und
nachts Salami-Pizza gegessen. Ich hatte mich gern mit den geselligen, vom Hippiezeitalter geprägten Professoren unterhalten. Ich hatte gern über hochfliegende Themen und die harten Realitäten diskutiert, die niemals auch nur ansatzweise auf den grünen Rasen unseres Campus vorgedrungen waren.
    Als wir vor der Fußmatte standen, die uns übertrieben freundlich willkommen hieß, hörte ich ein altbekanntes Lied durch die Holztür. Ich verzog das Gesicht und lauschte. Der Ton war gedämpft, aber es klang nach Elton John – genau, Candle in the Wind vom alten Goodbye Yellow Brick Road -Doppelalbum. Ich klopfte.
    Eine Frauenstimme zwitscherte: »Einen Moment.«
    Kurz darauf wurde die Tür geöffnet. Rose Baker war in den Siebzigern und, wie ich überrascht feststellte, offenbar auf dem Weg zu einer Beerdigung. Ihre Kleidung, vom breitkrempigen Hut mit passendem Schleier bis zu den Gesundheitsschuhen, war schwarz. Das Rouge sah aus, als hätte sie es großflächig mit einer Sprühdose aufgebracht. Ihr Mund formte ein fast perfektes »O«, und ihre Augen waren so riesig und rot, als wäre ihr Gesicht erstarrt, nachdem man sie gerade zu Tode erschreckt hatte.
    »Mrs Baker?«, sagte ich.
    Sie hob den Schleier. »Ja.«
    »Mein Name ist Will Klein. Und das ist Katy Miller.«
    Ihre großen Augen wandten sich Katy zu und saugten sich dort fest.
    »Kommen wir ungelegen?«, fragte ich.
    Die Frage schien sie zu überraschen. »Nein, keineswegs.«
    Ich sagte: »Wir würden uns gern mit Ihnen unterhalten, wenn Sie nichts dagegen haben.«
    »Katy Miller«, wiederholte sie, während sie sie unverwandt ansah.
    »Ja, Ma’am«, sagte ich.

    »Julies Schwester.«
    Es war keine Frage. Trotzdem nickte Katy. Rose Baker stieß die Fliegengittertür auf. »Kommen Sie bitte herein.«
    Wir folgten ihr ins Wohnzimmer. Katy und ich blieben wie angewurzelt stehen und sahen uns verblüfft um.
    Lady Di.
    Sie war überall. Das Zimmer war über und über mit Lady-Di-Devotionalien bepflastert. Vor allem natürlich mit Fotos, aber auch mit Tee-Services, Gedenktellern, bestickten Kissen, Lampen, Figurinen, Büchern, Fingerhüten, Schnapsgläsern (wie pietätvoll), einer Zahnbürste (igitt!), einer

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